JK

Symbionesische Ferien

No. 36 / Sommer 2013

Alien (James Franco), Cotty (Rachel Korine), Brit (Ashley Benson) & Candy (Vanessa Hudgens)
Alle Abbildungen: © 2013 Wild Bunch Germany
Symbionesische Ferien 
 
HARMONY KORINES neuer Film »Spring Breakers« ist die Antithese zu »The Hangover« und kitschigem Ich-hab-einen-Ständer-Klamauk. Als diabolischer Mädchenfilm führt er das derzeitige Lebensgefühl postpolitischen Grauens vor. Von ALEX KITNICK
 
Ich musste an die Symbionesische Befreiungsarmee (SLA) denken, als ich aus Harmony Korines »Spring Breakers« kam. Die SLA war eine Terrororganisation aus den 70er Jahren, eine Gruppe von Linksradikalen, die Banken überfielen und im Zeichen der siebenköpfigen Kobra einen Schulbehördenleiter erschossen. Sie kidnappten auch Patty Hearst. Hearst machte die SLA eigentlich erst bekannt – nicht nur, weil ihre Entführung jeden Abend in den Nachrichten lief, sondern weil Hearst nach wenigen Wochen begann, mit der Gruppe zu sympathisieren. Sie wurde eine von ihnen, änderte ihren Namen auf Tania und posierte mit Sturmgewehr. Alle dachten, dass Hearst am Stockholm-Syndrom litt und nicht bei vollem Verstand wäre. Von einer anderen Ausformung des Stockholm-Syndroms könnte man sprechen, wenn auch die Zuschauer beginnen mit den Kidnappern zu sympathisieren. Und genau das geschah bei der SLA: sie wurde nicht unbedingt unterstützt, aber wegen Hearst (der Enkeltochter eines Zeitungsmoguls) als Teil der Medienlandschaft akzeptiert. Die SLA wurde Popkultur. Politischer Terror wurde massentauglich.

In der ersten Szene von »Spring Breakers« finden sich Spuren von Politik aus den 70er Jahren. Sie spielt in einem großen Hörsaal auf einem College in Florida. Der Professor leiert über Bürgerrechte und soziale Kämpfe, doch Korines Kamera ist woanders, sie ist auf zwei diabolische Studentinnen gerichtet, gespielt von den Teenie-Stars Vanessa Hudgens und Ashley Benson. Sie bereiten sich auf den Spring Break vor, oder zumindest sprechen sie davon. Sie zeichnen sich Botschaften auf Zettel. Sie wollen Sex, und sie wollen Party. Sie interessieren sich überhaupt nicht dafür, was da vorne im Saal vor sich geht. Das Problem ist allerdings, dass die beiden nicht genug Geld für den Urlaub haben. Doch dann haben sie eine Idee. Zusammen mit einem dritten Mädchen (Rachel Korine) beschließen sie, einen Fast-Food-Laden zu überfallen. Sie setzen sich Sturmhauben auf und besorgen sich Hämmer; sie stecken ihre Hände in ihre Jackentaschen wie Pistolen. Dann überfallen sie das Lokal, werfen die Tische um und machen den Gästen Angst. Jetzt haben sie das Geld, das sie brauchen, aber eigentlich geht es gar nicht ums Geld. Wie einer Gruppe von Stadtguerillas diente der Überfall einem höheren Zweck – Spring Break.
 
Die Mädchen schaffen es also zu dem mythischen Fleck für Sonne und Spaß in Florida. Sie machen Party, duschen in Bier, Brüste und Bauchmuskeln bouncen zur Musik. Es sieht unheimlich gut aus. Aber auch wenn sie ihren Traum nun verwirklicht haben, ist ihre ziellose Terrorherrschaft noch nicht zu Ende. Sie lernen den Kleinstadtgangster Alien (James Franco) kennen und bringen die Sache auf ein nächstes Level (jetzt mehr zu verraten, würde den Spaß verderben). Was aber wichtig scheint, ist nicht nur wie weit entfernt ihre Handlungen von jenem kurzen politischen Moment am Beginn des Films sind, sondern wie sie sich diesen Moment angeeignet und gleichzeitig entleert haben. Sie sind Mainstream-Terror. Ohne den geringsten Plan marschieren sie in der Hoffnung auf etwas anderes unbeirrt voran. In ihren glam-pinken Guerrilla-Uniformen (und mit Aliens Waffen) nehmen sie es mit der Welt auf. Es macht einem Angst, ihre unbekümmerte Fahrt durch die verschiedensten sozio-ökonomischen Gefilde von Südflorida zu beobachten, aber am Ende begreift man, dass sich der Schrecken nicht nur am falschen Ende des Gewehrlaufs findet, sondern vielmehr dort, wo man ein Gewehr in seinen Händen hält, ohne überhaupt zu wissen wie man dazu kam.

»Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?« Das sind uralte Fragen, die sich jede Generation wieder aufs Neue stellt. Und »Spring Breakers« ist ein Generationenfilm, wenn auch für einen historischen Moment, in dem Generationen einander immer schneller ablösen. Mit dem Drehbuch für »Kids« (1995), Filmen wie »Gummo« (1997), »Julien Donkey-Boy« (1999) und »Trash Humpers« (2009) handelten Korines Arbeiten bisher von Desillusionierung und sahen auch so aus. Jetzt ist er mit Starpower in den Mainstream gewechselt und hat seinen Fokus dementsprechend angepasst. Seine Kinder sind nicht erwachsen geworden, sondern vielmehr ganz unten angekommen. Er koppelt sie (seine Figuren und sein Publikum) mit sich selbst rück – in einem Film, der wie ein hochpoliertes YouTube-Video wirkt. Wenn »Kids« von Sterblichkeit handelte (die Hauptfigur war HIV-positiv, ohne es zu wissen), zeigt »Spring Breakers« ein Bild des Lebens nach dem Tod – funkelnd, choreografiert, durchgeknallt und unendlich. Den Refrain des Films bekommt man nur schwer aus dem Kopf: »Spring break, bitches, spring break forever«. —
 


 
ALEX KITNICK ist Kunsthistoriker und lebt in Los Angeles.