Außenansicht der Galerie mit einer Arbeit von Wolfgang Breuer, 2008
Neue Alte Brücke, Frankfurt

In nur drei Jahren wurde die Neue Alte Brücke zum Shootingstar der Frankfurter Kunstszene. Mark Dickenson arbeitet gemeinsam mit seinen Künstlern, darunter Simon Fujiwara, an einem Gegenmodell zur traditionellen Galerie. Von AMANDA COULSON
 

»Ich wollte eigentlich kein Galerist sein«, antwortet Mark Dickenson auf die Frage, wie er begonnen hat. Vielleicht ist die Neue Alte Brücke gerade deshalb eher ein kollektives Projekt von ihm und seinen Künstlern, das die gängigen Vorstellungen, wie eine Galerie zu sein hat, permanent hinterfragt und auch verändert. Werbung wird meist nur über E-Mail und Mundpropaganda gemacht, es gibt keine Presseaussendungen oder herkömmliche Einladungskarten. Die Veranstaltungen sprechen sich herum wie dunkle Geheimnisse.
Dickenson will, dass seine Galerie flexibel bleibt. Die Künstler sollen »aktiv in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden, was das Gegenmodell schließlich ausmacht«. So konnten sie bei der Ausstellung »Gallery Exchange« im Jahr 2008 alles mitbestimmen – vom Ausstellungsort über die Beleuchtung bis zu den Möbeln und der Architektur. Stimmig ist dieses Konzept, wenn man bedenkt, dass Dickenson früher selbst ein recht erfolgreicher Künstler und seine Arbeiten am ICA, im MoMA und an der Tate Modern gezeigt wurden. Nachdem er zusammen mit anderen den Artist-Run-Space »Arthur R. Rose« (ein kleiner Insiderwitz, wenn man den Hinweis versteht) gegründet hatte, machte er am Royal College London einen Abschluss im Studiengang Kuratieren von Gegenwartskunst und arbeitete dann für die Galerien Sadie Coles und Vilma Gold.

Mark Dickenson
Installationsansicht Nicolas Ceccaldi, 2009

Ende 2006 brauchte es in London jedoch bestimmt keine weitere Galerie. Also ging Dickenson dorthin, wo seiner Meinung nach die interessantesten Künstler ausgebildet werden. Entgegen der allgemeinen Meinung das passiere in Berlin, beginnen Künstlerkarrieren öfter in Frankfurt, und zwar an der stark konzeptuell ausgerichteteten Städelschule, mit Daniel Birnbaum, dem Leiter der 53. Biennale Venedig, als Direktor und vielen herausragenden Professoren. Abgesehen vom direkten Zugang zu dieser Talentschmiede wollte Dickenson auch wieder an Frankfurts vergessene Geschichte als Förderer der Konzeptkunst anschließen. Deshalb die »Brücke « im Namen – eine Brücke zwischen alt und neu. In den 50er Jahren kuratierten in Frankfurt nämlich Galeristen wie etwa Dorothea Loehr bahnbrechende Ausstellungen mit Künstlern wie Richard Long, Jan Dibbets, Daniel Spoerri und Peter Roehr. Es war die Entdeckung einer schmalen Broschüre über eine dieser bahnbrechenden Ausstellungen, die Dickenson veranlasste, den Darwinismus der Kunstwelt zu überdenken. War Harald Szeemanns »When Attitude Becomes Form« 1969 wirklich die erste große Ausstellung ihrer Art oder bloß die am besten dokumentierte? Kommt die beste Kunst wirklich aus New York oder bekommt sie nur die meiste Publicity? Sind die Selbstdarstellung und Dokumentation der Geschichte einer Galerie wichtiger als das, was gezeigt wird? Ist Geschichte als solche Faktum oder nur Konsens?

Zufällig durchziehen dieselben Fragen auch die Arbeit des 1982 geborenen, britisch-japanischen Künstlers Simon Fujiwara, der seinerseits anmerkt: »Wenn du nicht deine eigene Geschichte schreibst, schreibt sie jemand anderer … so wie es ihm passt.« Bevor es soweit kommt, geht Fujiwara mit Performances, Theaterstücken, Diavorträgen, Vitrinen und skulpturalen Objekten, die Aufstellungen in alten Naturkundemuseen oder Universitäten nicht unähnlich sind, seine Geschichte selbst an. Als Kind gemischt ethnischer Eltern wuchs er als Schwuler in einem kleinen Provinznest ohne Vater auf. Fujiwara verfügt also über genügend Material, das er nach seinem Gutdünken zu gestalten vermag. Dabei können wir uns aber nie sicher sein, ob das, was er uns erzählt, Fakt oder Fiktion, ein Witz oder ganz ernst gemeint ist. 
Auf der Frieze Art Fair im vergangenen Oktober präsentierte Fujiwara sein Konzept eines »Museum of Incest« in Tansania, der »Wiege der Menschheit«.Damit wollte er unseren Urahnen, die logischer Weise Inzest begangen haben müssen, eine Ehre erweisen. Diese Theorie sowie Fujiwaras reich mit Dias und Grundrissen illustriertes Projekt stehen in engem Zusammenhang mit seiner eigenen Lebensgeschichte, die im Zuge eines Vortrags dargelegt wird. Als Architekt ausgebildet reiste er nach Afrika, um sich dort seiner eigenen Herkunft zu stellen. 

Simon Fujiwara, The Museum of Incest, 2006-ongoing, Performance am Royal College of Art in London

Diese Biografie setzt sich fort mit »The Mirror Stage« (Das Spiegelstadium) bei der Art Perform der Art Basel Miami Beach 2009. Hier erzählte Fujiwara von seinem Initiationserlebnis als Künstler angesichts eines Gemäldes des Minimalisten Patrick Heron in der Tate St. Ives, das zugleich auch seine erotische Initiation war. Erotik und Sexualität sind auch die Leitgedanken im laufenden Projekt »Welcome to the Hotel Munber«.Ausgehend von Fotos aus den Anfängen der Ehe seiner Eltern in den 70er Jahren, als die beiden in Spanien ein Hotel betrieben, untersucht Fujiwara die Unterdrückung von Homosexuellen während des Franco-Regimes. Wichtige Nebenprodukte dieses letzten Projekts sind erotische Geschichten, die Fujiwara in Schwulenmagazinen veröffentlicht. Dabei handelt es sich um historische Darstellungen von Rendezvous aus der damaligen Zeit. Seinen Worten getreu wird auch Dickenson seine Haupttätigkeit von der Galerie auf die des Herausgebers verlagern, der Arbeiten seiner Künstler nicht mehr auf Wänden, sondern in einem kuratierten Erotikmagazin präsentiert, das jeweils als Einzelstück erscheinen soll. Seine Galerie ist also nicht weniger flexibel wie Fujiwaras Kunst. Man kann sie in keine Schublade stecken, sondern sich nur zurücklehnen und schauen, wohin die fiktive Reise führt. 




AMANDA COULSON ist Kunstkritikerin und Kuratorin und lebt in Frankfurt. 

NEUE ALTE BRÜCKE
Hafenstraße 23
Frankfurt am Main
Deutschland
www.neuealtebruecke.com