Nikolaus Gansterer

1. Woran arbeitest du gerade?
So wie meist an mehreren Projekten gleichzeitig: aktuell einerseits im Rahmen des »Vienna Project« an einer Art riesigen Stadtkarte von Wien … eigentlich ja mehr so ein vielschichtiges Papiermodell – sowohl Archiv, als auch Atlas – basierend auf Briefen und Texten von Wienern, die Ende der 30er Jahre im Zuge des Holocaust die oft aussichtslose Lage und verzweifelte Stimmung in der Stadt beschreiben. Daraus entwickle ich eine Art parallele Stadttopografie des Erinnerns. Diese Papierkarte wird dann sukzessive digitalisiert und ist als App frei zugänglich und navigierbar und setzt sich mit dem Thema der Erinnerung und Lesbarkeit von Lebensgeschichten in der Stadt auseinander. Andererseits bereite ich gerade meine Installation für eine Ausstellung zum Thema zeichnendes Denken in Detroit vor und eine neue Lecture-Performance, die ich im Winter in São Paulo zeigen werde.
2. Wie sieht dein Arbeitstag für gewöhnlich aus?
Aufstehen. Duschen. Kaffee kochen … dann geht’s los. Tagsüber sind allerdings eher die ganzen Verwaltungssachen dran: all diese Mails, Telefonate, Einkäufe usw. In der Nacht passiert – wenn ich dann noch Kraft habe – der kreativere Teil meines Arbeitstages … Ich weiß ja nicht wie es bei anderen Künstlern ist, aber bei mir sind fast 70 Prozent nur Verwaltung. Listen, Leihgaben, Anfragen, Transporte.
3. Arbeitest du in einem Atelier? Wie sieht dein Arbeitsplatz aus?
Ich lebe in einer sehr geräumigen Altbauwohnung, ein Teil ist Atelier für die Papierarbeiten, Zeichnungen, Modelle und den Bürokram. Im Hinterhof des Hauses gibts noch eine Werkstatt für die Schmutzarbeiten – mittlerweile stoße ich aber an die Grenzen der Kapazität. Ab November übersiedle ich einen grossen Teil der Arbeiten in eines der schönen zweistöckigen Bildhauerateliers im Prater. Darauf freue ich mich schon ... neue Räume – neues Glück!
4. Wie entstehen deine Arbeiten? Was macht du selbst, was lässt du produzieren, arbeitest du mit Ready-Mades?
Meine Arbeiten sind zum Teil projektspezifisch ästhetisch unterschiedlich. Jedenfalls die Zeichnungen mache ich selbst von Hand, die meisten Installationen auch. Da die Arbeiten größer und komplexer werden arbeite ich dann in der heißen Phase und beim Aufbau mit Assistenten und Helfern zusammen.
5. Welche Bedeutung hat das Internet für deine Arbeit bzw. Arbeitsweise?
Ach, das Internet: große Ambivalenz. Einerseits Zeitverlust durch all die scheinbar dringlichen und wichtigen Informationen und Anfragen – anderseits schnelle Vernetzung und Kontaktmöglichkeit mit vielen interessanten Menschen. Wikipedia ist ein unersetzbares Nachschlagwerk geworden um mal Erstinfos einzuholen. Um richtig zu Recherchieren muss ich aber in die Bibliotheken.
6. Welche Ratschläge wurden dir gegeben, die dir als Künstler hilfreich waren
Die meisten Erfahrungen muss oder will man ohnehin selber machen. Aber »dran bleiben«, »weiter-machen« UND dabei »glücklich bleiben« ist ein ganz guter Leitfaden.
7. Kannst du dir vorstellen, irgendwann einmal keine Kunst mehr zu machen? Was würdest du stattdessen tun?
Zur Zeit kann ich's mir ehrlich gesagt noch nicht vorstellen. Als Alterswerk finde ich die Vorstellung schön (und sehr romantisch) einen Garten anzulegen.
8. Was sind die Vor- und Nachteile für in Wien arbeitende KünstlerInnen?
Ich habe mehrere Jahre in Holland und dann auch in Belgien gelebt und gearbeitet. Jeder Ort hat eine ganz spezifische Dynamik. Rotterdam bietet tolle Atelierräumlichkeiten für KünstlerInnen durch die vielen Hafengebäude. Dafür ist die Szene weit weniger theorielastig. In Antwerpen und Brüssel arbeiten interessante KünstlerInnen, die sich leichtfüßig im Spannungsfeld zwischen Objekt, Text und Performance bewegen.
Wien empfinde ich als sehr angenehmen Ort, weil überschaubar, die Arbeitswege sind kurz (Fahrrad!) und es eine hohe Kulturdichte samt einer passablen Förderlandschaft gibt – im Vergleich zum Beispiel zu Berlin. Allerdings gibt es nicht so viele Off-Orte und die Mieten für große Fabrikshallen (Stichwort: Atelierhäuser) sind wirklich viel zu teuer, gleichzeitig steht dann so Vieles leer. Die Protagonisten der Szenen Tanz, Theater, Performance, Musik und Kunst sind zum Teil schon sehr für sich. Insgesamt ist Wien, natürlich auch auf Grund seiner Geschichte, aber auch auf Grund der herrschenden Einwanderungspolitik eine sehr weiße Stadt, eine stärkere Öffnung würde hier bestimmt gut tun.
9. Was ist das absurdeste, was du je über deine Arbeit gehört oder gelesen hast?
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10. Welche Ausstellung fandest du in letzter Zeit besonders gut und warum?
Ich war vor ein paar Tagen für einen Artist Talk in Bratislava und habe mir in der slowakischen Nationalgalerie eine Ausstellung von Ľubomír Ďurček angeschaut. Situationistische Arbeiten zum Großteil im öffentlichen Raum aus den siebziger Jahren bis heute. Sehr fein. Ďurček kommt von dem Umfeld von Julius Koller, der mir besser bekannt ist. Einen Eindruck von dem Milieu und den Arbeitsbedingungen der damaligen tschechoslowakischen Künstler zu gewinnen – fand ich sehr interessant.
29. Oktober 2013
NIKOLAUS GANSTERER geboren 1974 in Klosterneuburg, Österreich. Lebt in Wien und Berlin. Letzte Ausstellungen: My Brain is in my Inkstand, Cranbrook Museum, Detroit; When Thought becomes Matter & Matter turns into Thought, Kunstraum Niederösterreich, Wien; Thinking Matters, Galleria Marie-Laure Fleisch, Rom; Berlin Linienscharen, (Performance), Württembergischer Kunstverein, Stuttgart (2013); Zeit(lose) Zeichen/Time(less) Signs, Künstlerhaus, Wien; Diagrams/Schaubilder, Bielefelder Kunstverein, Bielefeld; A Study on Knowledge, Forum Stadtpark, Graz (2012).
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