
Ein sich ewig drehendes Karussell
Das Artifizielle, die Wiederholung, modernistische Architektur, traumähnliche Bildsequenzen nahe am Surrealismus. Starke und elegante Frauenfiguren, deren traditionell-weibliche Attribute überhöht werden. FILIPA RAMOS über die post-feministische Herangehensweise der in Österreich geborenen Künstlerin URSULA MAYER.
Man stelle sich inmitten einer kühlen, strengen Umgebung vor, die aber zugleich sehr anziehend wirkt, und in der jedes Detail sorgfältig ausgewählt wurde. Nichts an diesem Ort ist zufällig – nicht das kleinste Ding. Es hat etwas von einer »Mise-en-scène«: Selbst wenn man eine Landschaft betrachtet, gibt es daran immer etwas Kulissenhaftes. Obwohl die überwältigende Schönheit und das sinnliche Vergnügen der Szenerie berührt, ist man sich doch der Tatsache bewusst, dass nichts von dem, was man sieht, natürlich ist. Diese Darstellung des Artifiziellen, die eher instinktiv wahrgenommen wird als tatsächlich greifbar ist, erinnert uns immer wieder an unsere Rolle als Betrachter. Dennoch wird man tief in den Sog der Bilder hineingezogen und oft erlebt man etwas, das irgendwie vertraut ist. Sieht man es zum ersten Mal? Oder hat man es schon einmal gesehen? Sind diese dichten, aufgeladenen Bilder ermüdend? Fehlt einem das Gefühl für Raum und Zeit? Solch ein ambivalenter Zustand wird üblicherweise von Ursula Mayers Arbeiten ausgelöst.
Die in Österreich geborene und in London lebende Künstlerin setzt oft unterschiedliche Medien wie Video, Fotografie, Performance, Skulptur und Film zu Gesamtinstallationen zusammen. In den letzten Jahren erfuhren Mayers Arbeiten durch Ausstellungen in wichtigen internationalen Institutionen weithin Anerkennung, vor allem ihre Filme und Videos. Im Kontext bewegter Bilder ist die Wiederholung ein altes Mittel, Szenen und Aufnahmen zu verbinden und Subjekte durch Handlungen, Räume und Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen. Jedes Mal wenn wir etwas als Wiederholung erkennen, erinnern wir uns nicht nur an das bereits Gesehene, sondern entwickeln neue Interpretationen der gezeigten Szenen und Gegenstände. Das Resultat ist eine Reihe von Variationen eines Themas.
Mayers Gebrauch der Wiederholung scheint in einer traumähnlichen Logik ihren Ursprung zu haben, nahe den Surrealisten. Von dort aus entwickelt sie einen persönlichen Stil, der die Wiederholung einsetzt, um den Betrachter seine Position bewusst zu machen. Etwa in diese Richtung: »Seit ich bemerkt habe, die Bilder schon einmal gesehen zu haben, ist mir meine Rolle als Betrachter bewusst. Was verhindert, mich vollständig zu unterhalten.« Trotz dieser Reflexivität tauchen Mayers Wiederholungen das Publikum in intensive Momente aus Klängen, Bildern und Mustern, deren Sequenz sich im Verlauf des Films ändern kann. Manchmal scheint sich der Film wie ein unendliches Karussell zu bewegen, immer wieder um sich herum, die lineare, vertikale Logik des Films vermeidend.




16mm auf HD Video übertragen, 30 min. / Courtesy Juliette Jongma, Amsterdam
Auch ihre neueste Arbeit »Gonda« (2012) verdankt einen großen Teil ihrer Dynamik und Intensität der Wiederholung. Der Film ist vom Theaterstück »Ideal« inspiriert, geschrieben 1934 von der russisch-amerikanischen Philosophin Ayn Rand (1905–1982). Rand ist als Begründerin des Objektivismus bekannt, ein philosophisches System, das den Rationalismus und den Liberalismus befürwortet, um eine säkulare, individualistische und unternehmerische Gesellschaft zu fördern. »Gonda« ist der Familienname der Hauptfigur, Kay Gonda, eine Berühmtheit, die einen Mord begeht und Zuflucht bei sechs ihrer Fans sucht, die sie systematisch fallen lassen. Im Film löst sich ein starkes, singuläres Bewusstsein und das Erscheinen des Selbst – ein zentraler Gedanke Rands – in eine Kakophonie fragmentierter, alternierender Bilder, Geräusche und Stimmen auf. Das Resultat ist eine vielseitige, schillernde Figur, die um ihre eigene Achse rotiert, und jedes Mal unterschiedliche und unerwartete Szenen präsentiert. Der Film selbst dreht sich um die androgyne Hauptfigur, die in manchen Szenen in einem luxuriösen, goldenen Abendkleid gezeigt wird und in eine kahle Landschaft flüchtet (was die stärkste visuelle Nähe zum Referenz-Text darstellt). Auf den Originaltext wird nur angespielt, da das von der Autorin Maria Fusco verfasste Filmskript die eigentliche Struktur vorgibt. Es wurde in einer Reihe von Workshops erarbeitet, in denen das Schreiben über Kunst in einem Drehbuch münden sollte und die gesamte Entwicklung des Films prägte. Wiederholt ausgesprochene Satzzeichen – »Komma«, »Punkt« – fungieren als Filmklappe. Sie teilen die Szenen durch die Verknüpfung von Klängen und Bildern. Oft erscheinen dieselben Standbilder in einem ähnlichen Rhythmus; abwechselnd eine Ägyptische Katze, eine Lederkappe und ein Stein in leuchtenden Farben, wunderschöne Orange- und Grüntöne, die immer wieder einen Schleier monochromer Farbe über den Vorführraum legen.
Ein anderer Film, »The Lunch In Fur« (2008), folgt drei Grazien, die, wie wir später herausfinden, drei Frauen reiferen Alters sind: Meret Oppenheim, Josephine Baker und Dora Maar behaupten die Möglichkeit, Modernismus darstellen zu können, indem sie als Ikonen ihrer selbst auftreten und mit Gegenständen Erinnerungen aktivieren. Sie wiederholen ihre Handlungen mehrere Male, als ob das Berühren einer Skulptur, eines Eies oder Steins sie für den Betrachter noch realer erscheinen ließen würden. Mit der Zeit werden diese Gesten vertraut und lösen beim Betrachter ein Wiedererkennen aus.
Im Film »Interiors« (2006) wiederholen zwei Charaktere – eine ältere und eine junge Frau mit einem sehr ähnlichen Aussehen, vielleicht ein und dieselbe Person in verschiedenen Lebensaltern – Gesten und Interaktionen im Wohnraum eines eleganten modernistischen Hauses mit der rotierenden Kopie einer elliptischen Skulptur der britischen Künstlerin Barbara Hepworth. Tatsächlich wurde der Film in einem ehemaligen Domizil des Architekten Ernő Goldfinger gedreht, einem Treffpunkt für Künstler und Bohème in Nordlondon der 30er Jahre. Diese Anspielungen auf die Verfestigung modernistischer Ästhetik in Raum und Zeit, geben der Arbeit eine zusätzliche Tiefe. Die Bewegung der elliptischen Skulptur, die auf hypnotische Weise rotiert, im Takt mit den Bewegungen der beiden Frauen im Haus, gibt dem Film seine zentripetale Dynamik und seinen Rhythmus. Als Folge davon lösen sich Anfang und Ende in eine kreisende, kontinuierlich sich entwickelnde Handlung auf.
Die zeitgenössische Relevanz von Mayers filmischer Arbeit beruht exakt auf dem Gleichgewicht zwischen bestimmten Sensibilitäten, die sie mit anderen ihrer Generation teilt, und einer sehr persönlichen Herangehensweise an Subjekte und Gegenstände. Ihre Forschungsarbeit ist weitgehend auf den Hintergrund ihrer Zeitgenossen fokussiert, und in dieser Hinsicht gehört sie auch zu jener Generation, die, wie Mark Lewis es formulierte, »Die Moderne als unsere Antike« betrachtet. Mayers post-feministischer Ansatz konstruiert gekonnt starke weibliche Persönlichkeiten durch die Erhöhung traditioneller, fast konformistischer weiblicher Werte und Attribute in glamourösen, eleganten Kontexten. In bestimmten Momenten, wie im Fall von »Gonda«, geht Mayer über ihre übliche Präsentation des weiblichen Körpers hinaus, indem sie ein Transgender-Model ins Bild holt und damit die sexuelle Identität als etwas Irrelevantes zeigt. »Gonda« bietet auch das Setting für eine komplexe Reflexion über die Rolle der Bilder in der zeitgenössischen Imagination sowie ihren Status, wenn sie durch Werbung und Kulturindustrie vermittelt werden. Mehrmals wird im Film ein Mode-Shooting inszeniert, das einige der bekanntesten Szenen der Nouvelle Vague in Erinnerung ruft, wie in Michelangelo Antonionis »Blow Up» (1966) oder Jean- Luc Godards und Jean-Pierre Gorins »Tout va bien« (1972).
Mayers Hang zur Hybridisierung von Bezugnahmen und Quellen, zur Nebeneinanderstellung von gelehrten philosophischen Konzepten mit populären Bildern und die Kombination extrem ästhetisierter Darstellungen mit der einer dichten Tonspur, ließe sich für einen postmodernen Ansatz halten. Doch ihre Arbeiten reichen weit über diese Tendenzen hinaus, da sie weder durch Nostalgie noch den Gebrauch historischer Fragmente oder verlorener Objekte aus der Vergangenheit gekennzeichnet ist. Stattdessen errichtet die Arbeit eine neue Welt, in der Verweise und Erfindungen in endlosen Wiederholungen verbunden sind, wenn auch in subtilen Variationen, wie in einem unendlichen Karussell.
Aus dem Englischen von Stefan Tasch
FILIPA RAMOS ist Kunstkritikerin und lebt in Mailand und London. Sie koordiniert das Projekt »The most beautiful Kunsthalle in the world« der Fondazione Antonio Ratti in Como.
URSULA MAYER, geboren 1970 in Österreich. Lebt in London. Ausstellungen: Gonda, Galerie Juliètte Jongma, Amsterdam (solo) (2012); Performa 11, New York; Short Stories, Sculpture Center, New York; Prospectif Cinema, Centre Pompidou, Paris (2011); 100 Years (version #3), Garage, Moscow; Films by U. Mayer, Fondazione Pastificio Cerere, Rome (solo); Last Hours of Ancient Sunlight, Monitor, Rome (solo); Projections, Bonniers Konsthall, Stockholm (2010).
Vertreten von Galerie Juliètte Jongma, Amsterdam; Galerie Krobath, Wien; Monitor, Rom








16mm-Film, Ton, 8 min. / Courtesy the artist, Monitor, Rom and Juliette Jongma, Amsterdam
Fotos: Tim Brotherton