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Portrait Stephen Prina

No. 19 / Frühling 2009

Foto: Albrecht Fuchs
Unschuld und schmutzige Hände

Als einer der ersten verwandelte der amerikanische Künstler STEPHEN PRINA Konzeptkunst in Objektkunst. Von HANS-JÜRGEN HAFNER
 
Wenn das Gespräch auf die künstlerische Arbeit Stephen Prinas kommt, ist meistens von deren enormer formaler Vielfältigkeit, genauer den unterschiedlichen Medien und Präsentationsformen die Rede. Andererseits fehlt selten der, mitunter entnervte, Hinweis auf die Überfülle von Referenzen, direkten Zitaten oder indirekten Bezugnahmen, die Aneignung eigenen Materials oder dem von anderen. Hier werden sehr schnell unterschiedlich gelagerte Vorlieben für Formfragen oder Inhaltsangebote sichtbar: Wenn die Fans des letzteren etwa darauf pochen, wie breit ge steckt Prinas Referenzrahmen doch ist, mit seinen Bezügen auf Kunst und Literatur, Broodthaers und Böll; auf High und Low Art, wenn der Künstler auf Glenn Goulds Beethoveneinspielungen ebenso zurückgreift wie auf die musikalischen Oeuvres von Steely Dan oder Sonic Youth; wenn etwa die visuellen Codes des Nouvelle Vague-Kinos ebenso auf dem Prüfstein stehen wie die Evaluierung von Popmusik mittels der Charts oder die Repräsentationspolitik eines Galeriebetriebs; wenn zwischen institutionskritischer Intervention und freundlicher Hommage kaum mehr ein Unterschied zu bestehen scheint. 

Auf die Seite der Form stellen sich hingegen jene, die die mediale Verfahrensweise, die Transferleistungen zwischen Malerei und Performance (um nur zwei Extrempunkte zu markieren) hervorheben; die das Gestaltete sowie die designhaften Züge an Prinas Arbeiten sowie seine Display- und Auftrittsformen betonen. Dass es schier unmöglich ist, mit einem Patentrezept an dieses seit den späten siebziger Jahren entwickelte künstlerische Werk heranzugehen, dass eine eher formale ebenso wie eine primär inhaltlich fokussierende Betrachtungsweise gleich unangemessen sind, haben die beiden Ausstellungen »The Second Sentence Of Everything I Read Is You« in der Kunsthalle Baden-Baden und »Monochrome Painting« im Berliner Showroom der Sammlung Haubrok vergangenen Herbst unter Beweis gestellt. Gerade in der Gegenüberstellung der beiden Ausstellungen lässt sich Stephen Prinas Ansatz und Vorgehen historisch situieren und mit Blick auf jüngere KünstlerInnen, bei denen das Zusammenspiel von Form und Referenz eine entscheidende Rolle spielt, diskutieren.

»…I ain’t n-n-no conceptual artist«

Sicher nicht!, ist man sofort versucht zu widersprechen, wenn man obigem Wandtext im letzten Raum der Baden-Badener Ausstellung begegnet. Wie wäre Prinas Ansatz besser zu bezeichnen als »konzeptuell«? Nach unserem Rundgang bleibt kaum eine Wahl, die »Form« der Ausstellung anders als konzeptuell zu sehen. Dieser Parcours ist von vorne bis hinten offensichtlich sehr exakt angelegt: Er enthält sämtliche Bildmedien von der Fotografie über Malerei und Zeichnung bis zu Graffiti, Video und Wandtext sowie unterschiedliche Objekte zwischen Skulptur und Funktionsgegenstand; zudem arbeitet Prina hier mit verschiedensten Displaymustern, von der traditionellen Hängung bis hin zu installativen, raumbezogenen (Ein-)Bauten, wobei nicht nur die titelgebende Installation »The Second Sentence Of Everything I Read Is You«, eine Art mobile Multimedia-Lounge, in zwei Versionen mit den Untertiteln »The Queen Mary, 1979–2006« (2006) und »SOMA Electronic Music Studios« (2008) sozusagen verdoppelt vorkommt.

Auch andere Arbeiten der retrospektiv bestückten Schau verweisen aufeinander. Dabei greift Prina teils durch die Hängung in bestehende Bilderserien ein oder ergänzt sie durch zusätzliche malerische Eingriffe, wie beispielsweise bei »Push comes to love« (1996–2008) mittels vor Ort vorgenommenen Sprühelementen. Unmittelbar ist das nur zum Teil ersichtlich. Nur durch Prüfung der Hängung und der Titelschilder ist eine weitere Ebene zu erschließen, die einerseits durch die auf den Ausstellungsort bezogene Installation und andererseits indexikalisch zum Tragen kommt. Z. B. werden für die »L.U.S.T. Installation« (2008) vier Bilder aus einer bestehenden Serie situativ zu einer neuen Arbeit zusammengefügt. Den Zusammenhang mit der Serie markieren Leerstellen in der Hängung. In der Weise, wie die Arbeiten über sich hinausweisen und gleichzeitig ineinandergreifen, zeichnet sich ein geradezu kuratorischer Umgang des Künstlers mit dem Material ab. Dies führt zu einer Veränderung der Parameter. So wird unser Blick von den einzelnen Arbeiten auf die Zusammenhänge zwischen ihnen gelenkt: auf eine temporär aus dem Material einer 30 Jahre umfassenden Werkentwicklung gewonnene Situation. 

Die ungleich fokussiertere Berliner Schau gibt einen etwas anderen Takt vor. Dort herrscht zwar auf den ersten Blick ebenfalls das strenge Flair, was allzu gerne mit dem Ruch des Konzeptu ellen behaftet ist: eine sehr sorgfältig für die Räume angepasste Hängung der vierzehn einheitlich dicht mit metallic-grünem Autolack überzogenen monochromen Bildtafeln in unterschiedlichen Formaten, einer vollständig grün bemalten Wand mit Wandtext, der uns den Titel des Werkkomplexes mitteilt, samt dazu gehängter Einladungskarte, Ausstellungsplakat sowie einer im Büro ausliegenden Publikation zu diesem Projekt. Doch verschiebt sich in der Präsentation von »Monochrome Painting« (1988–1989) unmittelbar der Akzent. Hier verlieren wir uns nämlich nicht in der offensiv inszenierten Selbstbezüglichkeit eines Ausstellungsarrangements. Stattdessen scheint sich gar ein gegenteiliger Effekt einzustellen. Denn wir kommen – zwar nach Lektüre der Titelschilder oder des Katalogs – schnell dem referenziellen Muster auf die Schliche, welches Prina dem Werkkomplex konzeptuell unterlegt hat. Denn jedes der Monochrome bezieht sich in seinen Abmessungen exakt auf ein Vorbild, allesamt »Monochrome« von so genannten Klassikern abstrakter Malerei – etwa Kasimir Malewitsch, Yves Klein und Ad Reinhardt, lustigerweise aber auch Gerhard Richter. 

Doch dient hier das ebenso konzeptuelle wie formal als »Malereiausstellung« inszenierte Set-up dazu, über den gesteckten Rahmen hinauszublicken. Die über die Aneignung von Vorbildern geleistete Bezugnahme ausgerechnet auf das traditionell selbstbezüglich-immanent diskutierte Genre »monochrome Malerei« konfrontiert uns mit einer Reihe von Implikationen, die, weit über das visuelle Angebot der Ausstellung hinaus auf generelle Fragestellungen hinführen. So gerät unweigerlich die Relationalität aller jener Faktoren in den Fokus, die ein Konzept wie Monochromie als besonders konsequente Ausprägung innerhalb der teleologisch gedachten modernistischen Malereientwicklung (der zufolge Inhalt und Zweck eines Kunstwerks deckungsgleich mit dessen Mittel und Form ist) erscheinen lassen, bzw. die entsprechenden Rezeptionsmuster überhaupt erst möglich machen.

Doch auch die Malerei als Sonderfall künstlerischer Medien gerät in den Blick dank Prinas spezifischer Art und Weise der Aneignung – wie er sie als Verfahren ganz detailliert von der Formatwahl über die industrielle Produktionsweise bis zur Betitelung der einzelnen Bildtafeln vergegenwärtigt und dazu medial bis ins Format des Katalogs hinein übersetzt. Dies lädt zu einer generellen Überprüfung der Malerei als dem Medium ein, dem üblicherweise ein besonderes Maß an Direktheit und Authentizität zugesprochen und eine besondere Originalität zugebilligt wird. Und nicht zuletzt können wir uns die Frage stellen, ob, und wenn, dann in welchem Sinn die Bilder dieser Ausstellung eigentlich tatsächlich Bilder wären; was wir denn da eigentlich sehen und zu welchen Bedingungen wir das tun.

The Top Thirteen Singles From Billboard’s Hot 100 Singles Chart For The Week Ending September 11, 1993, 1993
Schmutzige konzeptuelle Kunst

Die späten siebziger Jahre – Prina studierte damals am California Institute of the Arts bei Ur-Konzeptualisten wie Michael Asher und Daniel Buren – erfährt er als »epistemischen Moment«: »Für manche war das Projekt der Konzeptkunst sehr klar. Es würde zu einem Auseinanderfallen, zu einer systematischen Zerlegung der Kunst, wie wir sie kannten, führen, und alle produktive Tätigkeit, die mit Kunst in Verbindung gestanden hatte, würde sich nahtlos in die Gesellschaft insgesamt einfügen.«

Doch die damalige Entwicklung – einerseits der Beginn von Retrophänomenen wie dem Neo-Expressionismus, zum anderen das Aufkommen neo-konzeptueller, dabei bild- und objektorientierter Arbeitsweisen wie der Appropriation Art – zeigt: Die Errungenschaften der oft als letzte Avantgarde bezeichneten Konzeptkunst führen keineswegs dazu, dass sich das von Peter Bürger in seiner »Theorie der Avantgarde« beschriebene Modell der Auflösung der Kunst in Lebenspraxis einlösen würde. Anstelle einer Kunst, die ihren Objekt- und Warenstatus negiert, künstlerischen Praktiken, die entweder in konkreten Prozessen oder als reine Information realisiert würden, kehrt die Kunst ausgerechnet in Objektform zurück. Parallel dazu installiert sich ein unverhohlen marktdominierter Kunstbetrieb.

Vor diesem Szenario bekommt Stephen Prinas Arbeit präzise Konturen. Die Kontinuität konzeptueller Verfahrensweisen zeigt sich einerseits in seinen situationsspezifischen und explizit intermedialen Arbeitsweisen, im Einnehmen von verschiedenen Rollen und Funktionen (als Künstler, Kritiker, Kurator, Performer etc.), andererseits anhand seiner Themenstellungen wie der Relationalität bzw. der Gestaltbarkeit kultureller Zeichensysteme oder der Diskursivität von Bedeutung. Wie er dagegen subjektiv mit Medien, Displays, Referenzen und Präsentationskontexten umgeht und sie technisch-formal behandelt, markiert eine Differenz zum historischen Projekt der Konzeptkunst mit ihrem Ziel der Dematerialisierung. Bei ihm vollzieht sich eine Rückverwandlung, Ideenkunst wird re-materialisiert. Prina macht sich, wenngleich unter konzeptuellen Bedingungen, quasi die Hände wieder schmutzig. 

Dass es sich lohnt, Prinas »Technik« gerade jetzt unter bereits historischen Bedingungen anzusehen liegt auf der Hand. Die letzten Jahre über sahen wir uns verstärkt wieder mit Arbeiten konfrontiert, deren Reiz darin bestand, dass sie als ihre Wirkung vor allem über Ästhetik, zumeist anhand werkimmanenter Kriterien geltend machen konnten. Der neue »Formalismus« geht allerdings mit einem Hang zum hemmungslosen Referenzieren einher. Kaum nämlich eine Arbeit – egal ob von Markus Amm, Carol Bove, Wade Guyton, Goshka Macuga, Gedi Sibony oder Katja Strunz – sucht über das Kapital ihrer Form hinaus ihre Bedeutung nicht in Referenzbehauptungen. Während freilich dieser aktuelle »Referenzialismus« dazu herhält, Verbindlichkeiten im notorischen Rekurs auf immer schon Bedeutendes zu stiften, stellt Prinas Projekt in formal bündig hergestellter Unverbindlichkeit Bedeutung an sich in Frage: damit weist er sie als Vereinbarung mithin als verhandelbar aus. Ob wir dabei mit von der Partie sein wollen, ist gottseidank keine Glaubenssache.


HANS-JÜRGEN HAFNER ist Kunstkritiker und macht Ausstellungen.

STEPHEN PRINA, geboren 1954 in Galesburg (IL), USA. Lebt in Cambridge (MA) und Los Angeles. Letzte Einzelausstellung u. a. The Second Sentence of Everything I Read is You, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden; Sammlung Haubrok, Berlin (2008); The Second Sentence of Everything I Read is You: Mourning Sex, Galerie Gisela Capitain, Köln (2007); The Second Sentence of Everything I Read is You: The Queen Mary, Friedrich Petzel Gallery, New York (2006). Zu seinen letzten Ausstellungsbeteiligungen zählen Whitney Biennale, Whitney Museum of American Art, New York; Yokohama Triennale, Japan (2008).

Vertreten von Galerie Gisela Capitain, Köln; Friedrich Petzel Gallery, New York; Galerie Mezzanin, Wien

The Second Sentence of Everything I Read is You: SOMA Electronic Music Studios, 2005–2008 Courtesy the artist and Galerie Gisela Capitain, Köln