
Daniel Baumann: Lass uns dort anfangen, wo alles begann, bei den „Fuck Paintings“. Obwohl ich den ursprünglichen Titel „Joined Forms“ mag.
Betty Tompkins: Ich nannte sie nie „Joined Forms“. Das habe ich nur auf die Rückseite der Leinwände geschrieben, aber ich nannte sie immer „Fuck Paintings“. „Joined Forms“ ergab sich aufgrund der Zeit, in der ich an ihnen zu arbeiten begann, 1969, als alles sehr minimalistisch und konzeptuell war, von der Kritik her eine sehr schwere Zeit.
Du hast also anfänglich einen minimalistischeren Titel gewählt?
Genau, aber er funktionierte nicht sehr gut für mich.
Kannst du sagen, warum du damals die „Fuck Paintings“ gemacht hast?
Als ich mit ihnen begann, war das keine Reaktion auf die Art von Kunst, die um mich herum gemacht wurde. Ich habe mit ihnen begonnen, weil ich 1969 gerade erst nach New York gezogen war. Ich war viel unterwegs, um all die Galerien zu besuchen und die Atmosphäre aufzusaugen. Ich war unglaublich begeistert! Nach einiger Zeit fiel mir auf, dass ich sehr schnell in Galerien hinein- und wieder hinausging. Jemand hat viel Zeit damit verbracht, eine Ausstellung zu machen, und ich konnte nicht mal ein paar Minuten damit verbringen. Einer der Gründe, warum ich anfing, diese Bilder zu machen, war, weil ich wollte, dass die Leute tatsächlich vor den Bildern stehen bleiben, um sich anzuschauen, was ich als Malerin machte. Ich verlange viel von meinem Publikum. Für mich sind das Sujet und die abstrakte Qualität gleichermaßen wichtig. Ich wollte, dass die Leute dort stehen bleiben, und ich glaubte, dass das ein Motiv wäre, sie wirklich dazu zu bringen. Macht das Sinn?
Absolut! Ich mochte „Joined Forms“, weil, ja, genau so kann man sie wahrnehmen, als Formen, die aufeinandertreffen, mit all der Schönheit, die damit verbunden sein kann. Obwohl ich zugebe, dass man auch das Sujet nicht ignorieren kann.
Beide Dinge müssen funktionieren, sie spielen einander aus. Wenn das eine nicht da ist, wird das andere nicht funktionieren.
Damals, um 1970, wie reagierten die Leute auf die „Fuck Paintings“?
Oh, nicht gut … Nachdem ich ein paar davon fertig hatte, versuchte ich Galeristen dazu zu bringen, zu mir heraufzukommen, um sich anzusehen, was ich machte. Das war gar nicht so einfach, denn zu dieser Zeit wohnte ich in der 121. Straße West. Besser war es dann, als ich ein oder zwei Jahre später nach SoHo hinunterzog. Aber einige Galeristen kamen dennoch, und ich erinnere mich an einen, der in unser sehr kleines New Yorker Appartement kam, in dem das Schlafzimmer gleichzeitig mein Atelier war und das Wohnzimmer das Atelier meines (damaligen) Mannes. Wenn man keine Kunst sehen wollte, musste man schon in der Badewanne sitzen. Dieser Galerist kam herein und lief wieder hinaus, dann kam er zurück – und verschwand. Ich begann mit den Arbeiten 1969, aber ich konnte sie erst 1973 zeigen, als ich bei einer Gruppenausstellung in der Warren Benedek Gallery in SoHo dabei war. Im selben Jahr war ich in einer Ausstellung in der Lo Guidice Gallery in SoHo, mit sehr etablierten Leuten – bis auf mich. Carl Andre war dabei, und mein Bild hing neben einem Artschwager. Hannah Wilke war dabei, ich befand mich also in sehr, sehr guter Gesellschaft. Doch nichts passierte. Die Ausstellungen wurden nicht besprochen, die Bilder nicht verkauft. Danach wollten die Galeristen natürlich nichts mehr mit mir zu tun haben. 1973 wurden zwei Bilder, „Fuck Painting #1“ und „Fuck Painting #5“, nach Paris geschickt, zu einer Ausstellung und Auktion bei Guy Loudmer. Aber der französische Zoll hat ihre Einfuhr nicht erlaubt. Es kostete mich ein Jahr voll von Rechtsstreitigkeiten, Telefonieren und Briefeschreiben, um sie zurückzubekommen. Danach tat sich gar nichts bis 1975, als ich bei einer Ausstellung im Houston Museum of Fine Arts mitmachte. Das klingt zwar chic, doch es war ein Ort, der von Künstlern betrieben wurde. Paul Schimmel, der in seiner High-School-Zeit mein Schüler und damals ein Student von Jim Harithas war, kuratierte die Ausstellung und lud mich ein. Ich schickte vier Arbeiten hin. Neulich fand ich in der „Houston Post“ vom 18. Dezember 1975 eine Besprechung der Ausstellung von Mimi Crossley. Der Teil über mich lautete: „Vier riesige Bilder (nicht Fotografien) von Betty Tompkins an der Wand sind superrealistische, unendlich detaillierte Darstellungen von Geschlechtsorganen, die ungefähr so interessant sind wie ein medizinisches Lehrbuch.“ Das war also meine ganze Presse!
Das war deine ganze Presse in ungefähr sechs Jahren?
Das war meine ganze Presse für etwa 30 Jahre, was diese Malereien betrifft! In den späten 70ern wechselte ich von den „Fuck Paintings“ zu Bildern mit dem Titel „Cow/Cunt“, die ursprünglich „Condensed/Dispersed“ hießen. Es ging um Maßstabsrelationen, um etwas so Kleines und Zartes wie eine Möse und etwas wirklich Großes und Plumpes wie eine Kuh. Nur eines davon wurde jemals ausgestellt, 1978 im World Trade Center, in einer Ausstellung der Organization of Independent Artists. Schließlich legte ich all diese Malereien beiseite und entwickelte andere Ideen. Ich würde sagen, dass ich generell eine sehr langsame Künstlerin bin. Ende der 70er, als ich mich dafür entschieden hatte, keine sexuellen Sujets mehr zu verwenden, begann ich mit Arbeiten, die auf Sprache basierten. Ich habe diese Idee von Entfernung. Ich möchte, dass meine Bilder ganz aus der Nähe anders aussehen als aus der Entfernung, aus der man normalerweise ein Bild betrachtet. Von weitem sind diese Bilder sehr realistisch, doch wenn man näher kommt, lösen sie sich in Sprache auf.
Also ist das Bild, beispielsweise die Kuh, aus Wörtern gemacht?
BT: Ja, und über Jahre hinweg habe ich sie nur als winzige Bleistiftzeichnungen gemacht. Die Wörter waren etwa einen viertel Zentimeter groß, später vergrößerte ich sie auf zirka zwei Drittel Zentimeter.
Hast du eines oder verschiedene Wörter verwendet?
Ich wollte immer nur das bezeichnende Hauptwort wie Bulle, Gras oder Kuh verwenden. 1983 hatte ich eine sehr unglückliche Ausstellung, eine dieser schlechten Galeristen-Erfahrungen. Es war meine erste Einzelausstellung in New York, und es war einfach ein Albtraum. Also hörte ich damit auf, diese Arbeiten zu machen. Ich war damals verrückt nach dem Fitnessstudio, bin ich übrigens immer noch. Ich stemmte Gewichte, war umgeben von all diesen wunderschönen Bodybuilder-Körpern und habe mich sehr mit dieser Art von Kultur identifiziert. Also malte ich diese „Muzzlemen“-Bilder. Es waren Bodybuilder-Körper mit Tierköpfen. Das brachte mich zur Mythologie, schließlich trennte ich das Tier vom Körper, die Körper wurden zu Statuen. Ich machte also ein paar Sachen, die auf der griechischen und römischen Bildhauerei basierten, die ich dann in fiktive Szenerien setzte. Aber das wurde mir zu langweilig, also hörte ich damit auf. Ich kehrte zum Sex zurück, allerdings auf eine Softcore-Weise. Dazu verwendete ich Girlie-Bücher mit Bildern von 1900 bis etwa 1930. Ich zeichnete in die Buchseiten und malte auf Werkzeuge wie Bratpfannen, Sägeblätter, Äxte und Hackbeile. Diese brachten mich schließlich zurück zum Hardcore-Sex.
Die sind sehr anders als die Arbeiten der 70er Jahre. Du hast dich für einen Augenblick von deinem Ausgangspunkt entfernt.
Ich kam ganz einfach nirgendwo hin. Dann kam glücklicherweise Mitchell Algus in mein Leben. Es passierte Folgendes: 1994 sprach ich mit Chuck Close, der gerade bei einer Whitney-Biennale-Eröffnung gewesen war. Er sagte zu mir: „Ich war neulich im Whitney und musste immer an deine alten ‚Fuck Paintings‘ denken.“ Ich fragte: „Warum???“ Er antwortete: „Da sind diese jüngeren Künstler, die das versuchen, was du gemacht hast, aber deine Bilder blasen die einfach weg. Hol die Dias raus und schick sie wieder herum.“ Ich dachte: „Oh Gott!“ Aber ich schickte sie zu ein paar wirklich guten Galerien, aber sie prügelten mich im Grunde nach Hause zurück. Niemand war interessiert. Es war wieder dieselbe alte Geschichte. Ein paar Jahre später, 2000, hörte ich, dass Jerry Saltz, der Kritiker von „Village Voice“, eine Ausstellung über Sex kuratieren würde. Ich schickte ihm Dias und diesen Brief: „Lieber Herr Saltz, ich höre, dass Sie eine Ausstellung über Sex kuratieren werden. Ich hoffe, Sie ziehen meine Arbeit in Betracht. Mit freundlichen Grüßen, Betty Tompkins.“ Doch ich hörte nichts von ihm. 2002 rief mich Mitchell Algus an und sagte, er wolle die Arbeiten sehen, die ich in den 1970ern gemacht hatte. Ich sagte: „O. k., wann kommst du?“ Er antwortete: „Ich bin in 15 Minuten da.“ Ich konnte ihm einige der Arbeiten aus den 1970ern zeigen, weil ich 1997 eine kleine Retrospektive an der Monmouth-Universität mit dem Titel „The Women in My Life“ gemacht hatte und eines der „Fuck Paintings“ sowie eines der „Cow/Cunt“-Bilder für diese Ausstellung wieder aufgespannt hatte. Er kam herein und sagte: „Ja, das sind die Bilder, die ich auf den Dias gesehen habe.“ Jerry Saltz war nämlich mit den Dia-Mappen in Mitchells Galerie aufgetaucht und hatte gesagt: „Du solltest dir das ansehen gehen!“ Alles, was man über mich lesen kann, geht auf diese Geschichte, Jerry Saltz’ Großzügigkeit und Mitchells Unterstützung zurück. Mitchell machte eine Ausstellung in seiner Galerie, die Bob Nickas sah, der mich dann zur Biennale de Lyon 2003 einlud. Dort sah Camille Morineau, eine Kuratorin des Centre Pompidou, meine Bilder und stellte mich beim Ankaufskomitee vor. Und sie kauften „Fuck Painting #1“! Und jetzt ist die Ausstellung in der Galerie Andrea Caratsch in Zürich. Es ist wie ein Märchen!
Und hat so lange gebraucht!
Jahre! Jahre! Als ich die „Fuck Paintings“ herausnahm, haben sie mich zuerst richtig schockiert. Ich hatte sie ganz vergessen. Ich war perplex, als ich sie sah: „Mein Gott, was hab ich mir dabei gedacht?“ Beim Reinigen, als ich in Berührung mit ihnen war, kam alles, was ich gedacht, bezweckt und gefühlt hatte, plötzlich wieder zurück. Das ermöglichte mir, mich ganz natürlich von den alten Arbeiten zu den neuen zu bewegen.
Sie schließen wieder an die Arbeiten der 70er Jahre an?
Absolut!
Gibt es einen großen Unterschied darin, wie die sexuellen Motive damals und heute aufgenommen werden?
Total! Sie werden jetzt rezipiert und besprochen. Ich dachte immer, dass sich die Kunstwelt selbst zensuriert. Vor zehn Jahren, als der Senator Jessie Helms Karen Finley und Andres Serrano attackierte, dachte ich mir, wenn ich die „Fuck Paintings“ nicht schon gemacht hätte, würde ich sie heute machen. Aber zum Glück hatte ich sie schon gemacht! Ich bin froh, dass ich sie nicht als Antwort auf etwas Politisches gemacht habe, sondern aus meinem eigenen Verlangen heraus. Eines, was ich an diesen Bildern mag, ist, dass jeder in der einen oder anderen Weise Sex hat, aber dass wir das nicht anschauen. Wir können uns dabei nicht sehen. Also sind wir sehr neugierig darauf, wie das aussieht. Ich denke, dass für viele Leute Neugierde ein Plus und ein Minus hat, sie schauen und sind zugleich angezogen und abgestoßen. Für mich ist das o. k.
Richtig, man ist ein bisschen überrascht von dem, was man sieht.
Ja, sie verstören noch immer. Ich hätte nicht gedacht, dass Kunst dazu noch in der Lage ist.
Ich mag auch die Art, wie die zwei Formen zusammenkommen, scheinbar auf ganz normale Weise. Ich habe gelesen, dass die Bilder mit Airbrush gemacht wurden.
Die ursprünglichen, ja! Ich habe nur weiße und schwarze Farbe verwendet, daher sind alle Grautöne optische Mischungen. Die Farbe baut sich aus hunderten und aberhunderten Schichten auf. Der Effekt dieser Technik ist, dass das Bild, wenn man nahe herangeht, unscharf wird. Für die neuen Bilder, die ich jetzt mache, verwende ich Stempel. Sie bestehen aus umgangssprachlichen Wörtern, die wir benutzen, um Sex zu beschreiben – wie „fuck“ oder „schtupp“ oder „screw“ oder „poke“, aber nichts negativ Wertendes wie „kinky“. Positives wie „hot“ und „sex“ oder „kiss“ ist o. k. Ich arbeite jetzt gerade auch an ein paar Bildern, die nur aus meinen Fingerabdrücken bestehen, das Bild entsteht durch Petting und Streicheln. Es ist sehr spielerisch.
Könntest du etwas über die aktuelleren Malereien mit Sprache und ihre Beziehung zu den frühen „Fuck Paintings“ sagen?
Ich verwendete zum ersten Mal Sprache, nachdem ich zensuriert worden war. Ich machte ein paar Zeichnungen, auf denen ich die Bilder zensurierte, die vom französischen Zoll zensuriert worden waren. In manchen von ihnen zensurierte ich den Teil, den sie zensuriert hatten, in anderen zensurierte ich alles andere und zeichnete, was sie versucht hatten herauszunehmen.
Wie hast du sie zensuriert?
Auf die erste „Censored“-Zeichnung, die ich machte, schrieb ich das Wort „CENSORED“ mit Bleistift. Danach ließ ich einen Stempel mit dem Wort „Censored“ anfertigen. Ich habe ihn noch immer. Meine Handschrift ist ironischerweise sehr schlecht, also war der Stempel besser. In einer der „Censored“-Zeichnungen steht nur „Censored“ in jedem Quadrat des Rasters. Sehr minimalistisch. Die Idee, Wörter und Stempel zu verwenden, ist mir noch einmal gekommen, in Lyon bei der Biennale, weil ich Bob Nickas eine Zeichnung geben wollte, um ihm für seine Unterstützung zu danken. Es gefällt mir, dass ich eine frühere Idee wiederaufgreifen und sie erneuern kann. Und ich mag es, wie wir mittels Sprache einem Bild eine andere Bedeutung geben können.
Du stehst einer recht einzigartigen Situation gegenüber: Du hast seit fast 40 Jahren gearbeitet, aber es gab nicht viel Diskussion darüber. Siehst du dich dennoch als Teil einer größeren Bewegung? Fühlst du dich bestimmten Haltungen verbunden, oder hast du dich ihnen verbunden gefühlt?
Ja, ich hatte die sonderbarste Karriere. Ich war eine totale Niete darin, irgendeine Bewegung dazu zu bringen, mich anzunehmen, also habe ich jedes Interesse verloren, mit irgendetwas etikettiert zu werden. Ich glaube nicht, dass man dem Etikettiertwerden entkommen kann. Die Leute machen es einfach, aber es bedeutet mir nichts. Die „Cow/Cunts“ stellen – abgesehen davon, dass es um Maßstabsverhältnisse geht – auch den Versuch dar, Arbeiten zu machen, die akzeptabler wären. Wie du siehst, lief ich von Anfang an nicht synchron mit dem, wie die Welt die Dinge sieht. Ich arbeite aus dem Bauch heraus, versuche mir selbst treu zu bleiben und kümmere mich nicht darum, wie meine Ideen aufgenommen werden.
DANIEL BAUMANN ist Kurator, Kritiker und Konservator der Adolf-Wölfli-Stiftung, Kunstmuseum Bern.www.denver.cx
BETTY TOMPKINS, geboren 1945 in Washington, D.C. Lebt und arbeitet in New York und Mt. Pleasant, Pennsylvania
Vertreten von Galerie Rodolphe Janssen, Brüssel; GALERIE ANDREA CARATSCH, Zürich

