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Performance

No. 22 / Winter 2009

Mike Kelley, Extracurricular Activity Projective Reconstruction #32, Plus, a Performa Commision, 2009, Photo: Paula Court
Früchte gewürzt mit Stolz

Die Performa machte diesen November ganz New York zu einer Bühne. Von ADAM E. MENDELSOHN


Im November war New York Bühne für Paraden und Prunk, Karnevaleskes und Straßenumzüge. Am Tag nach Halloween, dem größten und ausschweifendsten Feiertag der Stadt mit seinen farbtrunkenen Straßenfeiern, wurde die Performa 09 eröffnet. Die Biennale, die heuer zum dritten Mal stattfand, begann passenderweise am Sonntag des New-York-Marathons mit Arto Lindsays unterhaltsamer, ein wenig sinistrer Straßenperformance »Somewhere I Read« am Times Square. Aber der offizielle Start war natürlich »Creation«, das Benefizdinner von Jennifer Rubell im X – dem alten DIA in Chelsea. Die Gäste wurden mit einem Festessen bewirtet, dekonstruktivistisch und partizipatorisch, wo Tonnen von jeder Speise auf weiße Sockel gekippt und wie Kunst präsentiert wurden. Es gab einen Berg von Erdnüssen, einen großen Berg Spareribs auf einem Sockel, umgeschnittene Apfelbäume mit Äpfeln, Eis- und Zuckerberge und als Dessert sieben Jeff-Koons-Bunnies aus Schokolade, die die Gäste mit Hämmern in Stücke schlagen durften. Ein passender, dekadenter Auftakt für das, was noch kommen sollte.

Das Programm mit seinen etwa 150 Performances / Vorträgen / Installationen / Screenings / Konzerten sowie unkategorisierbaren Happenings war ebenso anregend wie erschöpfend. Da die Veranstaltungen über die ganze Stadt verstreut waren, konnte man unmöglich alles sehen. Dass man auf der Straße seltsamen Dingen begegnete, war Teil des Vergnügens und war Programm; die ganze Stadt wurde zur Bühne, und die Frage, ob etwas ein offizieller Teil der Biennale war oder nicht, machte latent neugierig – gehörte der Astronaut, den ich auf der Straße herumgehen sah, zur Performa oder war er nur ein normaler Passant (Alicia Framis’ »Lost Astronaut«)? Tracey Emin und Malcolm McLaren hielten Vorträge, William Kentridge und Joan Jonas gaben wegweisende Performances. Es wurden Arbeiten in verschiedensten Medien präsentiert: Fernseh- oder Radiosendungen und eine Zeitung, herausgegeben von Dexter Sinister. Von weniger bekannten Künstlern sah man teils peinliche, teils wichtige Arbeiten, was die Kraft und Relevanz der Performa deutlich machte – »Erratic Anthropologies«, ein Trio von Performances von Guy Benfield, Shana Moulton und Rancourt/Yatsuk, war eine besonders schöne Entdeckung. Mir fällt keine andere Plattform ein – zumindest nicht in Amerika –, die Künstler ermutigt, interdisziplinär zu arbeiten, Risiken einzugehen und außerhalb ihres marktgängigen Oeuvres zu experimentieren.

Zwei Arbeiten in diesem Geist waren »New York, New York« von Candice Breitz und »K.85« von Dominique Gonzalez-Foerster und Ari Benjamin Meyers. Beide Arbeiten waren so konzipiert, dass sie noch nicht bei der Probe sondern erst bei der Aufführung funktionierten konnten, was der Grund dafür war, dass erstere danebenging und letztere funktionierte; das Glück bestimmte hier Erfolg oder Misserfolg. »K.85« war ein Theaterstück, das zu einer Live-Einsatzzentrale wurde: rund zwanzig nichtsahnende Teilnehmer waren in der Stadt an verschiedenen Schauplätzen von Martin Scorseses Film über Downtown-New-York, »Die Zeit nach Mitternacht« (1985), verteilt. Mit Hilfe von Live-Feeds, Radiomikros, Mobiltelefonen und Bühnenkoordinatoren wurden die als »K« bezeichneten Teilnehmer von Taxis (in den Credits als Schauspieler angegeben) abgeholt und über den Hintereingang ins Theater gebracht, wo wir zu Zeugen ihrer Verwirrung wurden, als sie die Bühne überqueren mussten, um in den Publikumsbereich zu gelangen. Hineingemischt waren Filmdialoge aus »After Hours« und Orson Welles’ »Der Prozess« (1962), es gab ein Live-Orchester, Zaubertricks und nach der Performance eine Bar auf der Bühne. »K.85« war jene Art von Theater/Performance, bei der man sich ständig fragt, was eigentlich passiert, man erst ein paar Tage später einen Zusammenhang herstellt und das strenge Konzept dahinter erkennt.

Auch sehr erfolgreich an der Performa war, wie das Potenzial vieler Orte maximal genützt wurde, etwa das des Gramercy Arts Club, wo der Künstler Terence Koh einen Vortrag hielt. Der Club ist eine würdevolle Traditionseinrichtung mit Künstlermitgliedern, deren Durchschnittsalter bei 65 Jahren liegt. Es war Teil von Kohs Vortrag, das Publikum im Club zu mischen: Man trank Unmengen Absinth, aß seltsame schwarze Thai-Eier, mit Ameisen gefüllte Pralinen und Tomatensuppe aus der Dose. Ungefähr nach einer Stunde des geselligen Miteinanders wurde einem klar, dass diese Durchmischung Teil der Performance war – es war ein Ort entstanden, an dem zwei Seiten der Kunstwelt, was Alter oder politische Einstellung betrifft, einander beobachteten. Den eigentlichen Vortrag habe ich vor lauter Geselligkeit verpasst, weil ich zu Mike Kelleys »Day Is Done« musste, einem absolut atemberaubenden, schamanischen Spektakel über die seltsamen Rituale und Existenzängste amerikanischer Teenager – Höhepunkt von drei Jahren Arbeit und Fortführung der Ausstellung in der Gagosian Gallery 2005. Rose Lee Goldberg und ihrem Team gebührt großes Lob für diese hervorragende Biennale, die sowohl Fest als auch ernsthafter Diskurs war. Performa ist eine Non-Profit-Organisation – was zeigt, dass auch in ökonomischen Krisenzeiten gute Dinge gemacht werden und die Kunst blühen kann. Vielleicht sollten die abschließenden Worte der Performa selbst gehören, die Filippo Tommaso Marinettis Deklaration an ihren Schluss stellte: »Streifen wir den gesunden Menschenverstand wie eine widerliche Schale ab und werfen wir uns wie Früchte, mit Stolz gewürzt, in den riesigen Rachen und an die gewaltige Brust der Welt!«.



ADAM E. MENDELSOHN ist Künstler und Kritiker und lebt in Brooklyn, New York.

Jennifer Rubell, Creation, Opening Night Benefit Dinner, 2009
Courtesy of Performa, Photo Paula Court
Joan Jonas, Reading Dante, at Performa 09
Courtesy of Performa, Photo: Paula Court
William Kentridge, I Am Not Me, The Horse Is Not Mine, Performa 2009
Courtesy of performa, Photo: Paula Court