Auch dieses Jahr heißt es wieder: Schluss mit den Best-/Worst-Listen zum Jahresende. Es gibt immer mehr Kunst, unsere Aufmerksamkeitsspanne wird immer kleiner und Meinungen schwächer und konsensorientierter. Der Kritiker der überschwänglichen Huldigungen und bissigen Verrisse verschwindet in ein Schattenreich. Aber was ersetzt ihn? Nicht die Stimme der Gleichgültigkeit, sondern die Stimme des inneren Konflikts. Dekonstruiert und selbstbewusst, laut und klar, und entschieden präsent. Wir haben sechs Kuratoren und Kritiker eingeladen, sich an die Ausstellung zu erinnern, die sie weder verführte noch verärgerte, sondern ohne Urteil zurückließ.
Mit
Timo Feldhaus, Autor, Berlin
Piper Marshall, Kuratorin, Swiss Institute, New York
Sam Pulitzer »Nine Scarlet Eclipses for ›Them‹«, Lars Friedrich, Berlin
Mit
Timo Feldhaus, Autor, Berlin
Piper Marshall, Kuratorin, Swiss Institute, New York
Daniel Baumann, Kurator, Basel
John Beeson, Kritiker, Berlin
Krist Gruijthuijsen, Leiter des Grazer Kunstvereins
John Beeson, Kritiker, Berlin
Krist Gruijthuijsen, Leiter des Grazer Kunstvereins

Installationsansicht, Lars Friedrich, Berlin
Courtesy der Künstler und Lars Friedrich, Berlin. Foto: Simon Vogel
Mit selbstnivellierenden Lasern, die unsichtbare Grenzen von Wand zu Wand und vom Boden zur Decke nachzeichnen, war »Nine Scarlet Eclipses for ›Them‹« eine brillante formale Szenerie totaler Überwachung und konstanter Bedrohung. Aber was ist damit gewonnen, eine solche Umgebung zu konstruieren (oder zu rekonstruieren)? Die Idee hat durchaus ihre Berechtigung: ohne viel Mühe unsere Kultur der Affirmation und Indifferenz zu attackieren, den Status Quo zu erschüttern, unter dem Druck der Transparenz größere Verantwortlichkeiten einzufordern. Aber hat es nicht auch etwas Unsinniges, harte Grenzen zu ziehen und eine Trennung zwischen »uns« und »ihnen« zu behaupten?
Heute haben sich alle damit abgefunden, dass ein »wir gegen sie«, eine »authentische« Subkultur, im alten Sinn nicht länger möglich ist. Aber einige suchen immer noch nach Verweigerern, nach kulturellen Produzenten, die einfach zu sehr Hardcore oder zu sehr in einer Nische sind, um von der herrschenden Kultur assimiliert zu werden, oder schlimmer: vereinnahmt. Zum Teil ist es das, was Sam Pulitzer (*1984) vorführt, wenn er die Galeriewände im Rot eines Punk-, Hardcore-, und Metal-Plattenladen aus Brooklyn streicht. Auf Wände, Boden und Decke der Galerie installierte er Plugs aus Kunststoff, wie sie etwa seit den frühen Nullerjahren Punk- und Emo-Fans zum Dehnen der Ohrläppchen verwenden. Und obwohl sie gesellschaftliche Normen herausfordern – von Schönheit, Selbstdarstellung und des gesunden Menschverstandes –, kann ihr Auftauchen in der Ausstellung nur ironisch gemeint sein: Plugs vermitteln nicht so überzeugend ein »Zu-Hardcore-Um-Assimiliert-Zu-Werden« wie etwa die grenzwertig rassistische und nationalistische Black Metal Band Peste Noire, auf die sich sowohl die Künstler Mathieu Malouf wie Nicolas Ceccaldi mit ähnlichen Zielen bezogen haben.
Der Grund, warum ich hin- und hergerissen bin (was wahrscheinlich Pulitzers Absicht war) ist folgender: Seine Referenzen implizieren eine Ideologie und Verhaltensweisen, die er sozusagen verdinglicht. Aber kritisiert oder feiert er sie? Ich kenne die Antwort nicht, jedoch hängt von ihr ab, ob ich die Ausstellung positiv oder negativ beurteilen würde. Ich erkenne ihre Bedeutung, aber kann mich ihrer Methode nicht anschließen.
JOHN BEESON
Aus dem Amerikanischen von Christian Kobald
Heute haben sich alle damit abgefunden, dass ein »wir gegen sie«, eine »authentische« Subkultur, im alten Sinn nicht länger möglich ist. Aber einige suchen immer noch nach Verweigerern, nach kulturellen Produzenten, die einfach zu sehr Hardcore oder zu sehr in einer Nische sind, um von der herrschenden Kultur assimiliert zu werden, oder schlimmer: vereinnahmt. Zum Teil ist es das, was Sam Pulitzer (*1984) vorführt, wenn er die Galeriewände im Rot eines Punk-, Hardcore-, und Metal-Plattenladen aus Brooklyn streicht. Auf Wände, Boden und Decke der Galerie installierte er Plugs aus Kunststoff, wie sie etwa seit den frühen Nullerjahren Punk- und Emo-Fans zum Dehnen der Ohrläppchen verwenden. Und obwohl sie gesellschaftliche Normen herausfordern – von Schönheit, Selbstdarstellung und des gesunden Menschverstandes –, kann ihr Auftauchen in der Ausstellung nur ironisch gemeint sein: Plugs vermitteln nicht so überzeugend ein »Zu-Hardcore-Um-Assimiliert-Zu-Werden« wie etwa die grenzwertig rassistische und nationalistische Black Metal Band Peste Noire, auf die sich sowohl die Künstler Mathieu Malouf wie Nicolas Ceccaldi mit ähnlichen Zielen bezogen haben.
Der Grund, warum ich hin- und hergerissen bin (was wahrscheinlich Pulitzers Absicht war) ist folgender: Seine Referenzen implizieren eine Ideologie und Verhaltensweisen, die er sozusagen verdinglicht. Aber kritisiert oder feiert er sie? Ich kenne die Antwort nicht, jedoch hängt von ihr ab, ob ich die Ausstellung positiv oder negativ beurteilen würde. Ich erkenne ihre Bedeutung, aber kann mich ihrer Methode nicht anschließen.
JOHN BEESON
Aus dem Amerikanischen von Christian Kobald

Courtesy der Künstler und Lars Friedrich, Berlin. Foto: Simon Vogel