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Artist's Favourites

No. 17 / Herbst 2008

Von Nedko Solakov 


Wir haben Nedko Solakov eingeladen, uns Künstler vorzustellen, für deren Arbeit er sich besonders interessiert. Nedko war mitten in den Vorbereitungen zu seiner ersten großen Retrospektive in Deutschland im Kunstmuseum Bonn. Ein paar Texte schriebe er selber, für die anderen lus der die Kuratorin Vladiya Mihaylova und die Kritikerin Nadia Timova, beide aus Sofia, ein.

Cristina Lucas, Feminine Europe, 2007, Courtesy the artist & Galeria Aizpuru
Cristina Lucas, Masculine Europe, 2007
Courtesy the artist & Galeria Aizpuru

Cristina Lucas


Auf der Istanbul Biennale 2007 sah ich das erste Mal ein Video von Christina Lucas. »Pantone« ist eine spektakuläre Arbeit: eine Animation aus politischen Weltkarten, die die »Entwicklung« der Welt von 500 v.Chr. bis heute zeigt. Alle Königreiche und Staaten, die je existiert haben, tauchen auf und verschwinden, verschmelzen miteinander und trennen sich wieder. Es ist eine hypnotische Erfahrung, die Geschichte der Menschheit auf diese Art zu erleben. Neulich sah ich dann im Museum für zeitgenössische Kunst in Rovereto ihre fies hübschen »männlichen« und »weiblichen« Europakarten: »Feminine Europe, Masculine Europe« (2007). Man sieht die Bezeichnungen für Geschlechtsorgane in der jeweiligen Landessprache, die die Grenzen der Länder (mit den Pufferzonen, wo die jeweiligen Nachbarn »schmutzige« Worte füreinander benutzen) auf eine eigene, aber ziemlich lebendige und nicht weniger legitime Art veranschaulichen – was erfrischend charmant ist. Ich habe die Künstlerin nie persönlich kennen gelernt, ich mag einfach ihre Arbeit. *1973 Jaén, Spanien, lebt in Madrid und Amsterdam

Frances Goodman, Banner Series, 2007
Courtesy the artist, Goodman Gallery

Frances Goodman


Frances Goodman lebt in Johannesburg. Sie ist eine der besten jungen Geschichtenerzählerinnen, die mir in den letzten Jahren begegnet sind. Es gelingt ihr, eine Geschichte auf eine so mehrdeutige Art zu erzählen, dass man nur schwer sagen kann, ob die »Moral« der Geschichte ein gute ist oder das genaue Gegenteil. Formal reichen ihre Arbeiten von schön gemachten Objekten (mit nicht so schönem Inhalt), wie den »Toilet Graffiti Embroideries« (2007), kleinen Stickereien von Klosprüchen, oder Wandskulpturen wie die »Banner Series« (2007) bis zu aufwändigen Installationen mit Sound, die sich um Beziehungen zwischen Menschen und Haustieren, ein Mädchen und ihr Popidol, Beobachtungen alltäglichen Verhaltens oder persönliche Erinnerungen und Geschichten drehen. Eine große Meisterin der Fabel vom äußersten Ende Afrikas. *1975 in Johannesburg, lebt in Johannesburg

Ante Timmermans, Installationsansicht #2, 2006
Courtesy Galerie Zink München/Berlin

Ante Timmermans


Vielleicht einer der besten jungen Zeichner. Ich kann mich immer noch an die Magie seiner Installation »#2« (2006) erinnern, ein dunkler Raum mit einem etwas altmodischen Overhead-Projektor, der eine beinahe schwarze, kaum sichtbare, Gotham-artige Stadt mit riesigen Gebäuden und winzigen leuchtenden Fenstern an die Wand warf. Eine erstaunliche Atmosphäre – man hatte das Gefühl, das ist sie, die Stadt der Zukunft und der Vergangenheit in einem. Neugierig geworden gehe ich nah an den Projektor ran, um mir anzuschauen, wie das Ausgangsmaterial zu dieser mystischen Stadt aussieht und bin überrascht: Auf dem Glas leuchtet eine nicht weniger starke klassische Zeichnung in Graphit, auf einem etwas schmutzigen, »alten« Papier mit der Landschaft wie von einem Schülers Pieter Brueghel des Älteren auf dem Weg nach Norditalien im 16. Jh. Und dann, bei wirklich genauer Betrachtung, verstehe ich den Trick und sah die kleinen, mit einer Nadel gestochenen Löcher (durch die hindurch das Licht auf die Wand fällt, wodurch die Wolkenkratzerfenster enstehen) und bemerke, dass durch das Licht die Hügel und Täler auf dem Papier zu den unheimlichen Massen einer urbanen Szenerie werden. *1976 in Ninove, Belgien. Lebt in Zürich

Vikenti Komitski, Installationsansicht »Frame 1«, 2008

Vikenti Komitski


Vikenti Komitski gehört zur jüngsten bulgarischen Künstlergeneration. Sie wuchs zu einer Zeit auf, als die Globalisierung und die neuen Perspektiven des Informationszeitalters die gesamte Gesellschaft umgestalteten und neue soziale Netzwerke zu geschaffen wurden. Die Kluft zwischen den alten Ausbildungsinstitutionen und dem Leben wurde groß genug, um die Klassenräume leer zu fegen und die Schüler mehr wissen ließ als ihre Lehrer. Das Gefühl von Orientierungsverlust, das Abhängen auf der Straße und Parties sind die Themen von Komitskis Arbeiten. Er macht eine Menge Skizzen, Zeichnungen und kleine Malereien, oft mit kurzen Texten, die Sprüchen auf Schulbänken oder in öffentlichen Toiletten ähneln. Manchmal verwendet er alte Gebrauchsanweisungen oder Weltkarten, die er fast zur Gänze mit schwarzer Farbe oder bunten dekorativen Elementen übermalt. In »Frame« (2008) ersetzt er die Leinwand durch Straßenpflaster und hinterfragt subtil die Kunstinstitution und den Status des Werks. »Bilder ohne Erinnerung« und disfunktionales Spielzeug sind die Themen seiner Objekte, wie etwa in der Skulptur »It doesn’t help to be too smart« (2008), die vor kurzem in Sofia ausgestellt war. (Vladiya Mihaylova, Kuratorin, Sofia) *1983 in Sofia, lebt in Sofia

Rada Boukova, Installationsansicht »Délits«, 2007

Rada Boukova


In »Délits« [Straftaten] (2007) ist in einem langen Korridor ein dunkler Filzteppich verlegt, der an einem Ende immer höhere Falten wirft, bis sie fast bis zur Decke reichen. Die Installation stellt ein dreidimensionales Modell einer Verbrechensrate dar, die die Form einer bedrohlichen, dunklen Welle hat. Geht man über den Teppich, kann es durchaus passieren, dass man stolpert und so selber versehentlich eine weitere Falte in der unebenen Silhouette verursacht. »Délits« ist lakonisch, rational, düster vielleicht, aber gleichzeitig merkwürdig sinnlich. In ihren Arbeiten setzt Rada nicht auf direkte Provokation, aber teilt trotzdem deren Geist. Deren Intimität entspannt den Betrachter, fordert ihn emotional heraus und ruft eine unmittelbare Reaktion hervor. Die Künstlerin findet oft eine besonders kühle Art, in die gesamte Geschichte ein perverses und in gewissen Details absurdes Moment einzuflechten. (Nadia Timova, Kunstkritikerin, Sofia) *1973 in Sofia und lebt in Paris.

NEDKO SOLAKOV, geboren 1957 in Bulgarien. Einzelausstellungen im New Yorker PS1 (2001), im Rooseum, Malmö, der Reina Sofia, Madrid (2003) und dem Linzer OK Centrum (2004) und Beteiligungen an der Biennale Venedig (2007) und der documenta 12. Ende September eröffnete »Emotions«, seine Retrospektive im Kunstmuseum Bonn. Er lebt in Sofia.