JK

Artist's Favourites

No. 34 / Winter 2012

Von Ryan Gander


»Es gibt nicht viel Kunst, die ich gut finde. Das klingt vielleicht komisch, aber mit Musik geht es mir auch so. Nur ein paar Künstler, die ihre Arbeit immer wieder verändern und neu erfinden, haben für mich Bestand. Es ist schwierig, Kunst nur um der Kunst willen auszuwählen, denn manchmal machen Künstler gute Dinge, manchmal schlechte. Es gibt keine Genies. Daher interessiere ich mich eher für den Weg eines Künstlers als für die Nebenprodukte dieses Weges.«

Bruno Munari, Macchina inutile in metallo colorato, 1949
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Bruno Munari


Munari war mehr Erfinder als Künstler. Er machte Kinderbücher, Spiele, Grafiken, Objekte und entwarf Maschinen. Seine Arbeit ist frei von jedem Ego, was wohl daran liegt, dass er sich selbst nie als Künstler verstand. Es gibt eine wunderbare Anekdote über einen Streit zwischen ihm und Calder darüber, wer von ihnen die ersten Mobiles gebaut hätte. Formal waren sie sehr ähnlich. Munaris Mobiles aus Karton und Schnüren hingen als Geschenke über den Gitterbetten der Kinder seiner Freunde, während Calders riesige Museumsversionen aus Stahl unvorstellbare Preise erreichten. Munari kümmerte das nicht, er fand Erfüllung darin, dass seine kleinen Mobiles andere faszinierten und glücklich machten. Calder wiederum ärgerte sich angeblich, dass man ihn des Plagiats verdächtigte. Munari repräsentiert für mich all das Gute und Ehrliche eines kreativen Menschen. Vor einiger Zeit nahm ich an einer von Elodie Royer und Yoann Gourmel kuratierten Ausstellung im Pariser Le Plateau teil, die seine Arbeiten zusammen mit denen jüngerer Künstler zeigte. Es war wahrscheinlich die beste Ausstellung, die ich im vergangenen Jahr gesehen habe. *1907 in Mailand, †1998 in Mailand

Jorinde Voigt, Archetyp II, August-Serie, 2012
Tinte und Bleistift auf Papier, 69 x 53 cm
Jorinde Voigt, Beethoven-Studie 6, 2012
Tinte und Bleistift auf Papier 86 x 63 cm

Jorinde Voigt


Jorindes Kunst macht mich neidisch. Eigentlich bin ich kein großer Fan von Künstlern, die eine Handschrift haben oder immer wieder das Gleiche machen. Auf Jorinde trifft beides zu, aber ihr Zeichenstil ist zugleich so einzigartig und facettenreich, dass sich damit eine Vielzahl an Konzepten und Themen umsetzen lässt. Genau das fehlt mir: eine eigene Sprache. Vielleicht weil meine Arbeit auf vielen Sprachen beruht. Daher bin ich fasziniert von der Vorstellung, eine Sprache derart fließend zu beherrschen, sie so prägnant und ökonomisch einsetzen zu können. *1977 in Frankfurt, lebt in Berlin

Jesse Wine, Installationsansicht »The Practice of the Wild«, Limoncello, London 2012
Photo: Joe Clark

Jesse Wine


Jesse ist ein junger Künstler aus meiner Heimatstadt Chester. Ich habe ihn zufällig in der Lobby eines Schweizer Hotels kennengelernt, wo wir einander sofort am Dialekt erkannten. Es stellte sich heraus, dass wir nicht nur dieselbe Schule besucht haben, sondern auch beide Künstler geworden sind. Das ist schon deshalb merkwürdig, weil für die meisten Städter aus dem Norden »Kunst« nicht einmal ein Hobby, geschweige denn ein Beruf ist. Für Jesse ist die Kunst jetzt sein Job, und seine Arbeiten bekommen ganz zu Recht viel Aufmerksamkeit. Sie haben etwas von der Begeisterung eines Teenagers, dem Witz eines Liverpooler Kabarettisten und dem Charme meines Vaters. *1983 in Chester, lebt in London

Santo Tolone, »Mandarini« 2012
Framed Screenprint on Paper
Santo Tolone, Billy Shadows, 2012
Painted MDF

Santo Tolone


Santo ist Italiener. Obwohl er sehr gut Englisch spricht, täuscht er gerne das Gegenteil vor und tut manchmal so, als ob er etwas nicht verstanden hätte. Ich habe keine Ahnung, warum er das macht, vielleicht weil dadurch komische Situationen entstehen. Wahrscheinlicher ist aber, dass es einfach eine Fortsetzung seiner Kunst ist. Santos Arbeiten sind schön und voll von Bedeutungsschleifen. Er macht Kunst ganz offensichtlich so, wie er lebt. Je besser man ihn kennt, desto mehr erscheinen einem seine Kunst und sein Leben untrennbar verbunden – wie er kocht, isst, sich anzieht, Party macht, spricht, einfach alles. Er ist tatsächlich mein Lieblingskünstler. Das weiß ich, weil ich befürchte, dass er besser ist als ich. *1979 in Como, lebt in London und Como

Michel François, Scribble, 2011, Gips, Metall, 220 x 120 x 75 cm
Photo: Allard Bovenberg

Michel François


Ich halte Michel François für einen der interessantesten Künstler der Gegenwart. Seine Arbeiten sind so komplex wie zugänglich – eine Balance, die nur schwer zu erreichen ist. Michel hat die unglaubliche Fähigkeit, den Betrachter mit Raffinesse zu verführen. Dieser wird dermaßen in die komplizierten oder herausfordernden Aspekte seiner Kunst verwickelt, dass er sich unweigerlich damit auseinandersetzen muss. Michel war einer meiner Lehrer an der Kunstakademie, und auf seltsame Weise verdanke ich ihm alles. Ich erinnere mich, dass er mich eines Tages aufforderte, ein Dia aus dem Projektor zu nehmen und nur das Licht zu projizieren. Ich tat es, worauf er meinte: »Ist das der Effekt, den du erklären wolltest?« Von da an war mir mehr oder weniger klar, was ich machte. *1956 im belgischen Saint-Trond, lebt in Brüssel
 

Bei der diesjährigen documenta ließ RYAN GANDER (*1976) nichts als Wind durch die Ausstellungshalle ziehen. Der britische Konzeptkünstler wird oft als Geschichtenerzähler bezeichnet, interessiert sich für die Mechanismen und Struktur von Sprache – für Parodie, Referenz und Fiktion. In jedem nur denkbaren künstlerischen Medium von Skulptur, Installation über Slideshows bis zu Büchern und Gesprächen verbinden sich persönliche Anekdoten, Modernismus, Literatur, Kunstgeschichte und Alltägliches. 2012 nahm Gander an der 9. Shanghai Biennale teil, und hatte unter anderem Einzelausstellungen im Palais de Tokyo in Paris, im Museo Tamayo Arte Contemporaneo in Mexico City, und im CCA Wattis Institute in San Francisco. Ryan Gander lebt in London.