Von Pipilotti Rist

Wolfgang Capellari
Wolfgang und ich waren „Plastik-Punks“ aus Mittelschichtfamilien, als wir uns beim Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien kennen lernten. Gemeinsam haben wir einmal Hühner in der Hochschule ausgesetzt. Wenn ich ihn in seiner Malereiklasse besucht habe, war er meist der Einzige, der da war. Er hat damals oft eine Früchteschale neben sich aufgebaut und abgemalt. Er nennt sich einen „Kunstfritzen“ - mir gefällt seine altmodische Haltung zur Malerei. Er ist ein gründlicher Erforscher der Malerei und hat keine Angst vor Hässlichkeit. Immer ist er auf der Suche nach der kindlichen Unschuld, die man als Künstler verloren hat und sich erst mühsam wieder erwerben muss. Wolfgang macht auch wunderbare Musik. Er war damals in eine Frau verliebt, die in einen Akkordeonspieler verliebt war. So hat er mit dem Akkordeonspielen begonnen. In seinem Super-8-Film „Jetter une baguette de tour Eiffel“ wirft er Brote vom Eiffelturm und singt dazu mit einer ganz hohen, fremdartig androgynen Stimme. *1964 in Kitzbühel (A) geboren und lebt in Berlin
Susanne Huth
Susanne hat sich damals in L.A. bei mir beworben, und ihre Fotobücher haben mir extrem gut gefallen. Sie sind präzise, nie beliebig, und die strenge Auswahl aus der Vielzahl an Bildern macht einen großen Teil der Arbeit aus. Hier wird wie unter Zwang gearbeitet. Sie macht auch Videos. Das Bild „Setting/Sunset Boulevard“ ist Teil der Wandpräsentation zu ihrem Buch „I'm ready for my close-up“. Dazu schreibt sie: „Ausgangsmaterial für das Buch ... sind inszenierte Videostills nach dem 1950 entstandenen Film ‚Sunset Boulevard‘ von Billy Wilder. ... ‚I’m ready for my close-up‘ ist der letzte Satz in (diesem) Film, den die einstige Stummfilmdiva Norma Desmond ausspricht, bevor sie von der immer unschärfer werdenden Nahaufnahme der Kamera geradezu verschlungen wird. Dieser Satz ist seitdem ein bekannter und oft zitierter Ausspruch im amerikanischen Sprachraum. Gemeint ist damit der Moment, an dem man bereit ist, an die Öffentlichkeit zu treten, einen öffentlichen Auftritt zu bestreiten, aber auch genug Zeit hatte, mögliche Fehler zu verstecken, Make-up zu benutzen und eine Art Maske für die Öffentlichkeit aufzusetzen. Die Szenen wurden in einem Privathaus in Hollywood nachgestellt und nur das dort aufgefundene Interieur benutzt. ... Erkennbar für den Betrachter wird nicht unbedingt eine Story, sondern eher ... eine Stimmung der Spannung und die Bedeutung der Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum sowie die Vermischung von Schein und Wirklichkeit.“ *1972 in Magdeburg geboren und lebt in Berlin
Tellervo Kalleinen
Die Videos von Tellervo habe ich in Finnland entdeckt. Sie filmt einfach drauflos, untheoretisch, unverkrampft. Der Schnitt ist aber sehr hart, und die Produktionsweise bleibt immer sichtbar. Inhaltlich sind ihre Filme eine Mischung aus Psychodrama und Theater. Sie reiste früher mit zwei Kolleginnen in den finnischen Provinzen herum und brachte den Schulkindern moderne Kunst nahe, also Experimentalfilm, Happening, Concept Art usw. Zu ihrer Arbeit hat sie mir geschrieben: „Fast alle meine Arbeiten sind partizipatorisch. Ich stelle dynamische und verdrehte Settings/Situationen her, an denen ich selbst interessiert bin, und neugierig warte (und hoffe) ich, ob Leute mitmachen wollen. Normalerweise werde ich nicht enttäuscht; bis jetzt hat es immer Leute gegeben, die mit Interesse teilgenommen haben. Ich sehe mich selbst als Förderin/behutsame Regisseurin des kollektiven kreativen Prozesses innerhalb meiner Projekte. Ich denke, dass diese Art von kollektivem Enthusiasmus, der im Arbeitsprozess entsteht, die wichtigste Kraft meiner Arbeiten darstellt.“ *1975 geboren und lebt in Helsinki
Dawn Kasper
Sie war meine Lieblingsstudentin in L.A. In ihren Performances inszeniert Dawn immer ihre eigene Ermordung oder ihren Unfalltod. Einmal lag sie den ganzen Nachmittag mit ihrem blau geschminkten Gesicht nach unten in einem Teich; den Taucheranzug unter ihrem Kleid sah man nicht, ihre Schuhe lagen am Ufer verstreut. „Ich bin eine Objektkünstlerin“, sagt sie. „Ich war immer eine Objektkünstlerin. Nur nicht im herkömmlichen Sinn, ich musste immer meinen eigenen Weg finden, ein Objekt zu machen, ein Objekt zu sein. Dem Betrachter beweisen, dass mein Körper ein Objekt ist. Ich bin nicht meine Arbeit, meine Arbeit ist ich.“ Dawn Kasper ist eine sehr existenzielle Künstlerin, eine richtige „Wildsau“. Mir gefallen KünstlerInnen, die etwas von ihrem Fleisch abschneiden. Es muss wehtun, man muss sich aussetzen und riskieren, dass man dafür kritisiert und geschlagen wird. *1977 geboren und lebt in Los Angeles

Andres Lutz / Anders Guggisberg
Ich besitze zu meinem großen Glück zwei „Eier“ (die Gipseumel in rotem Gummi liegen auf meinem Wohnzimmerbuffet auf Pelz) und die wahnsinnige „Offizierstorte“ (riesiges, von innen leuchtendes Objekt mit Bergpanorama, rahmähnliches Gipsrelief und dunkelgrünes Geländer) von Lutz/Guggisberg. Weiters finden sich eine gerahmte Heliogravur mit dem Titel „Alles Felle seltener Tiere“, ein Buchmodell „Yoga und Egoismus / gezeichnet: Bloody Lonesome Thomson im Kilo Verlag“ sowie ein aluminiges Vitaminröhrchen mit einer gefakten Etikette „Goldene Ruhe / Firma: Gulu“ von Lutz/Guggisberg in meiner Sammlung. Ich liebe ihre Arbeiten, sie öffnen mir Dimensionen und Löcher zum Fliehen. Stelle ich sie an den richtigen Ort, versöhnen sie mich mit der Welt. Andres Lutz & Anders Guggisberg arbeiten sehr ernsthaft an vergeistigten nutzlosen, aber lebenswichtigen Produkten mit einer Ernsthaftigkeit von Kindern, die ein Bächlein umleiten. Andres Lutz ist 1968 geboren, Anders Guggisberg 1966. Beide leben in Zürich.PIPILOTTI RIST (* 1962 in Grabs, Schweiz) liebt Randen. Ihr Fokus sind Video-/Audioinstallationen. Sie will freundlich sein und ist ein bisschen autistisch. Sie mag Maschinen und Kinder. Sie meint: Die Aufgabe der Kunst ist es, zur Evolution beizutragen, den Geist zu ermutigen, einen distanzierten Blick auf soziale Veränderungen zu garantieren, positive Energien zu beschwören, die Sinne und die Sinnlichkeit zu fördern, den Verstand und den Instinkt zu versöhnen, Möglichkeiten auszuloten und Klischees und Vorurteile zu zerstören. Mit Einzelausstellungen war sie zuletzt u. a. auf der Biennale Venedig (2005), im Centre of Contemporary Art, Warschau, im SF MOMA, San Francisco (2004), im KIASMA, Helsinki (2003), und im Museo Nacional de arte Reina Sofia, Madrid (2001), vertreten. Pipilotti Rist lebt in Zürich und Los Angeles.