Swag Panne


»Diese Schaufensterpuppe, dieser Automat, dieser Geist«, der zugleich »ein Mann ist, der die ganze moderne Malaise verkörpert«, schrieb 1935 der Schriftsteller Michel Leiris über Fred Astaire. BRUCE HAINLEY übernimmt die verführerische Form von Leiris Text, um über eine andere Berühmtheit nachzudenken. Eine, deren Aktivitäten im Gegensatz zu Astaires »sehr speziellen Form von Frivolität« ominös uneindeutig, jedoch allgegenwärtig sind.


Justin Bieber in Baggy Pants, Justin Bieber wirft Kusshände, Justin Bieber oben ohne in roten Tretern, die Baseballkappe verkehrt herum auf, Justin Bieber führt seinen Smoking aus, Justin Bieber hängt in Schlabberhosen und in Vans ab, Justin Bieber präsentiert seinen halbneuen Sixpack und sein brandneues Tattoo, Justin Bieber chillt im Hoodie, Justin Bieber auf dem Skateboard in Board Shorts und weißen Socken, Justin Bieber lässt sich von einem Typen vermöbeln, der als Elb berühmt ist, Justin Bieber schmachtet im Falsett, Justin Bieber wird auf einer schicken Party auf Ibiza von Kate Moss zurechtgewiesen, Justin Bieber sucht seine Unschuld und findet ein Trottelgrinsen, Justin Bieber schwingt die Hufe, zeigt die Zunge, nervt die Nachbarn, nagt an der Unterlippe, blinzelt, fährt sich langsam durchs Haar, erblickt sich in der Welt, die sein Spiegel, Justin Bieber ruht in sich selbst – so zieht eine ganze Galerie von Justin Biebers an uns vorüber, wir sehen ihn bei Tag und Nacht, ob wir wollen oder nicht, bei einer Preisverleihung oder auf Instagram, auf Twitter, bedrängt, rastlos, sein Auftreten wird immer mehr Macho, aber in den Augen kann man etwas Panik erkennen, er kommt mit dem Älterwerden nicht zurecht, und auch nicht mit den Launen des Celebritytums. Sein angestrengtes Markenlächeln will irgendeine nicht existente Angst davor verbergen, was passieren würde, wenn er oder seine Fans mit dem Posten und den selbstlos selbstsüchtigen Selfies aufhörten.

Imagemanagement. Berühmtheitshoch. Markenpolitur. Cross-platform dominance. Vielleicht wird es niemals eine Kunst der »Postmoderne« geben – oder »post-welcher-Begriff-auch-immer«, egal wie entleert, der den kaputten Zustand, in dem wir heute leben, fassen könnte. Was gewöhnlich für diesen Titel antritt, interessiert sich kaum dafür, so sehr man es auch wünschen möchte, »den Begriffen nachzugehen, die unsere Fiktionen des Heute wirklich strukturieren – ja produzieren«, wie es T. J. Clark schon vor mehr als einem sehr sehr langen Jahrzehnt gefordert hat. Diese Fiktionen, »unsere Begriffe von Virtualität und Visualität«, das Imaginäre also, so Clark weiter, müssten »einer Prüfung durch die Form unterzogen werden«.

Nun ist Justin Bieber keine Prüfung durch die Form, dafür ist er nicht gemacht. Aber er ist eine Geduldsprüfung, wenn auch nicht mehr als zum Beispiel die »abstrakte Malerei«, die ebenso allgegenwärtig ist (gibt es noch irgendjemanden, der keine abstrakten Bilder macht?) und dennoch kaum irgendetwas anderes prüft als die Möglichkeit, ihren Mehrwert zu maximieren.

Ob abstrakt oder scheinbar auch nicht: die Kunst von heute wird nicht gemacht, um Dinge zu komplizieren, zu stören, zu intensivieren oder gar in Frage zu stellen, was der Status quo (der Welt, des eigenen Seins) ist. Sie berührt niemanden, riskiert nicht verletzlich zu sein, Seele zu zeigen. Sie surft nicht einmal mehr auf abgedrehten Bedeutungen oder auf ihrer Bedeutsamkeit oder bedeutsamen Bedeutungslosigkeit. Die Kunst von heute wird gemacht, um gemacht zu werden. Verdinglichung, warnte, glaube ich, schon Onkel Georg, ist nicht Kritik. Aber wen kümmert’s schon? Entrepreneurs machen nun eben in Ästhetik. Sie »innovieren« die Produktion eines Produkts, das fast gleichzeitig überall auftauchen kann. Als supererfolgreicher Hintergrund von Selfies »pingt« die Kunst den, der sie »shared«. Die »Follower« betrachten ein Bild, wo die Kunst im Hintergrund so teuer ist, dass sie ihr armseliges Sein rechtfertigt.

Wir leben in abstrakten Zeiten. Kein Emoji vermag annähernd auszudrücken, wie abstrakt sie ist. Es versteht sich von selbst, dass es praktisch kein so genanntes ästhetisches Unterfangen mehr gibt, das dem Angriff unserer konfliktträchtigen Zeit entgegen wirkt oder sie wenigstens nachäfft. Ist doch gar alles gar nicht so schlimm, oder? Schau dir all das Zeug an, das die Schätzpreise einfach so wegbläst. Schau nur, wie viele »Likes«. Irre.

Es gibt Fotos, die das Unbändige des Augenblicks schlaglichtartig festhalten. Dazu müssen sie, verdammt noch einmal, nicht Kunst sein. Vor nicht viel mehr als sechs Monaten tauchte so eine schlaglichtartige Verdichtung – man könnte auch Nachbild sagen – an den einschlägigen Orten auf, die auf »Justin Bieber« oder seinen Geist schließen ließ. »Die brasilianischen Webseiten EGO und Page Six«, schrieb Michael K von Dlisted, »haben beide Fotos von Ushers Patenkind mit übergeworfener Decke, das mithilfe seiner beiden muskeligen Leibwächter heimlich aus einem Bordell in Rio de Janeiro entwischt. Dieses Bild. Sieht aus wie aus einem Schwulenporno mit Geistern. Das Bieber-Phantom wird arschmäßig gepempert, während es selbst dem Typen vorne seine Zunge reinsteckt. Und die Dame mit der Brille fragt sich wohl, was sie hier zu suchen hat.«

Dieses Bild. Es zeigt, dass Verhüllt-werden das Gesehen-werden noch übertreffen kann. Es gibt kein entkommen. Endlich ist ein neues Kapitel eröffnet, das Kapitel Als-was-gesehen-werden, aber auch jenes des Wozu-Gesehenwerdens. Bewiesen ist endlich die Ersetzbarkeit oder, schöner gesagt, das Substanzlose aller Prominenten, ja der Promifizierung an sich. Jeder, jedes auch noch so miese Double könnte gecastet werden, um diese Rolle Unter der Decke zu spielen. Der ohnehin schleißig in Szene gesetzte Anlass des Fotos ist offenkundig nicht, »Justin Bieber« aus dem Puff, sondern ihn samt seiner Marke in eine neue Marktnische schmuggeln (»Bad Boy«? »Player«?). Dazu platzierte man ihn vorderhand in einen virtuellen Leichensack – #notsexy #not elvis #swagmalfunction.

Wer um alles in der Welt hat diesem kleinen Content-Generator bloß geraten, nicht einfach strahlend aus dem Etablissement zu stolzieren, Baggy Pant hochgezogen, Schlabber-T-Shirt über die braungebrannten Schultern gekrempelt? Dieses Tableau konterkariert fast alles, was in unserer modernen Fantasiewelt »Premiumimmobilien« ausmacht, allein dadurch, dass es zeigt, wie abstrakt jeder Begriff von Körper, von Prominenz, von Sein oder ihrer Zweitbesetzungen geworden ist. Justin Bieber hat mehr »Follower« auf allen in unserem Universum bekannten Social-Media-Plattformen, und doch produziert er nicht mehr als seine eigene Gespensterhaftigkeit. Er spielt mit einer Leere, die seine Aufpasser so sicher nie wollten.

Ein neuer Höhepunkt von Stumpfsinn? Meine Lieben, ich weiß es nicht. Jedenfalls ist dieses Schlamassel in ihrer Verkörperung der Abstraktion und der Abstraktion der Verkörperung sinnfälliger und vielsagender als vieles, was heute Kunst genannt wird. Wenn die Kunst oder ihre momentane Shit-uation einem Geister-Porno gleicht – immerhin produziert sie wie Biebi mit viel Tamtam und um jeden Preis ihre eigene Nutzlosigkeit, ihre eigene Irrelevanz –, warum sehe ich dann so selten ein Medium, das eine Kontaktaufnahme versucht, und wenn auch nur um die Form dessen, was bleibt einer Prüfung zu unterziehen. Wo bleibt sie, die Ghostbuster-Kunst? Warum belehrt man mich so selten eines Besseren? Früher meinte ich, an die Kunst glauben zu können. Ich war ein Believer. Heute gehe ich nur noch als Belieber durch. 

BRUCE HAINLEY ist Autor und lebt in Los Angeles.