JK

Printed Matter

No. 21 / Herbst 2009

The Book of Jokes

DAVID WOODARD über den ersten Roman des schottischen Künstlers MOMUS


Der Fall »Roth gegen die Vereinigten Staaten« brachte 1957 die Entscheidung, dass etwas erst dann als »obszön« gilt, wenn es »völlig ohne soziale Bedeutung ist« und schrieb damit Amerikas Begriff von Zensur neu. Ehemals verbotene Bücher wie »Lady Chatterleys Liebhaber« von D.H. Lawrence, Henry Millers »Wendekreis des Krebses« und William S. Burroughs »Naked Lunch« waren plötzlich frei verfügbar. Moralische Verderbtheit stellte kein Problem mehr dar, solange ein gesellschaftlicher Wert in einem Werk erkannt werden konnte. 

»The Book of Jokes« bewegt sich fröhlich durch ein düsteres Universum aus Brutalität, Inzest, Vergewaltigung und Mord, alles im Kontext des unausweichlichen Witzes. Die vorsätzliche Vergewaltigung und der Mord an einem jungen Mädchen sind verglichen mit dem unüberwindlichen Widersacher des Romans – dem Witz, dessen »Pointe« wie ein Fallbeil über ihm schwebt – eine harmlose Sache. Momus’ Vortrag ist behutsam, aber mit einem Ton von Dringlichkeit, der einer klaren erzählerischen Struktur zuvorkommt – »ein Ton wie der Klang einer billigen Gummiklarinette, die mit qualitativ hochwertigen Schweißerhandschuhen gespielt wird«, wie die Figur des Mörders im Roman einmal bemerkt. 

Der heitere Erzähler-Protagonist Peter Skeleton führt uns durch reuelos derbe Familienanekdoten. Er lebt mit seinem obszön »gut ausgestatteten« Vater Sebastian und seiner reizbaren Schwester Luisa in einem Haus aus Glas. Das Leben läuft in Witzen ab, die in allen Gedanken und Äußerungen präsent sind. Früher lebte die Familie gemeinsam mit Peters Mutter Joan, »einer Frau, wohl versehen mit Verstand und Schönheit«, auf einem Bauernhof. Nachdem sein Vater eine Affäre mit einer Gans zugegeben hatte, verließ sie die Familie für eine geheime Doppelgängergeliebte, die ebenfalls Joan heißt. 

Es ist die Monotonie, die den jungen Skeleton dazu bringt, sich zu verschließen und die Tatsachen zu verdrehen, in der Hoffnung, die Witze torpedieren zu können. Aus Gründen, die ungenannt bleiben, landet Sebastian Skeleton im Gefängnis. Er und seine beiden Zellengenossen, der Mörder und der Kinderschänder, sind unschuldig. Zusammen gelingt ihnen die Flucht, um die ihnen zur Last gelegten Verbrechen zu begehen, ihrer Verurteilung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und mit Recht in ihre Zelle zurückzukehren. Während der Flucht der dreien, wird der Leser durch Skeletons ganzes Leben geführt – träumerisch, wie in »Annie Hall«, wo Alvy Annie nicht nur in das Haus ihrer Kindheit zurückbringt, sondern auch zu den dramatischen Szenen, die sich dort abspielten.

Kapitel 33 nimmt sich einen Eulen-Witz vor, den eine Dame vom Land erzählt, während sie den Skeletons Apfelkuchen serviert. Die Unterbrechungen der drei Skeletons, die den schwerfälligen Details des Witzes hinterherfragen, verwandeln die ländliche Szene in einen produktiven Rorschach-Test.

»Drei Michs«, sagte sie, »waren auf einer Expedition zu den Quellen des Lumbeezee Flusses, tief im Dschungel.« »Drei Dichs?« gab mein Vater verwirrt zurück und schob dabei Dampf dicht wie Schlagobers beiseite. »Ja«, sagte die Frau, »das Über-Mich, das Mich und das Unter-Mich.« Luisa errötete leicht, als die Frau die Worte »Unter-Mich« aussprach. Es war eine merkwürdige Geschichte, aber die Frau fuhr mit ihr fort, und stellte drei heiße Schüsseln mit einer süßen, weißen Mahlzeit vor uns hin. »Plötzlich wurden die drei Michs von einer Eule umringt.« »Von einer Eule umringt?«, fragte mein Vater, zunehmend fassungslos. »Wie das?« »Seid ihr noch nie von einer Eule umringt worden, als ihr zu dritt wart?«, fragte die Frau. »Nein«, sagte mein Vater …

Witze müssen nichts Dogmatisches sein. Wir leben innerhalb ihres psychosexuellen Rahmens und müssen sie nicht wortgetreu wiederholen. Witze können zerlegt werden, um so den Bereich unserer Erfahrung zu erweitern. Sebastian, der Vater, hat eine lange, geheime Affäre mit Joan, der Geliebten seiner Exfrau. 

Joan (meine Mutter) trug ein Diplax Himation und eine taubenblaue Mantille im thrakischen Stil. Joan (ihre Geliebte) trug einen doppelt gegürteten, pinken, am Knie gekilteten Chiton.

Wir sehen Momus schwerfällige Kapitel heroisch zu einem verständigen Ende führen, uns mit seinen Einsichten fesseln und uns intellektuell herausfordern. »The Book of Jokes« untersucht Verfilzungen familiärer Konflikte und bewegt den Leser heuristisch dazu, die ewige Wiederkehr auszutricksen – durch beispielhafte, aleatorische Umarbeitungen des Witzes. 

 



DAVID WOODARD ist Dirigent. Er lebt und schreibt in Berlin. 2010 wird sein Debütroman »Nueva Germania« in Christian Krachts Reihe für den Blumenbar Verlag erscheinen.

MOMUS, The Book of Jokes, Dalkey Archive Press 2009

MOMUS