JK

Portrait Sue Tompkins

No. 18 / Winter 2008

Spoken Words

Die schottische Künstlerin SUE TOMPKINS macht Sprech-Performances und installative Papierarbeiten – immer dem Prinzip »Wiederholung« folgend. Ein Interview von JULIEN FRONSACQ

Sue Tompkins ist Teil der sehr dynamischen Glasgower Kunstszene, zur der auch Simon Starling, Jim Lambie, Martin Boyce, Joanne Tatham & Tom O’Sullivan und Lucy McKenzie gehören. Seit 1995 ist sie nicht nur an zahlreichen Ausstellungen beteiligt, sondern sie war auch Mitglied von »Life Without Buildings«, einer sehr »arty« Band aus Künstlern, Schreibern und Kuratoren. Ihre Beteiligung an dieser Band reflektiert ihren vielgestaltigen Produktionsstil, der sich in Papierarbeiten, Installationen und Performances zeigt. Alle stehen miteinander in Beziehung. Dennoch scheint es daebi weniger um eine programmatische Definition von Kunst zu gehen, sondern um eine echte Haltung. Unterschiedliche Felder werden jenseits jeder vertikalen Auffasssung von Kultur miteinander verbunden, und eine große Energie geht durch Bereiche. Die Leichtigkeit und die Ökonomie der Formen, die ihre Installationen kennzeichnen, die aus einfachen Fundstücken bestehen, etwa roten und blauen Plastikflaschen, erinnern an den Post-Punk von »Life Without Buildings«. Die Papierarbeiten wie die Liedtexte drehen sich um Leere und Wiederholung. Sie verwendet Papier, das sie faltet und mit repetetiven Worten beschreibt. Der Begriff des Musters könnte für ihre Ästhetik in der Kunst und in der Musik emblematisch sein. Die französische Bedeutung des Wortes »Muster« (dessin) macht ein komplexes Werk explizit, das sich mit »Konstruktion« und »Anordnung« beschäftigt, oder in anderen Worten mit Syntax und musikalischen Motiven, oder Struktur und Abstraktion.
Gewohnt, mit Worten zu arbeiten, verrät ihr Zugang zu Gesprächen ein gewisses Misstrauen gegenüber Vereinfachungen des Kritikers. Sie scheint ihre Arbeit den Mechanismen von Bedeutung und Vorstellung einzufügen, da sie Sprache zugleich konzentriert und auflöst. Mit Sue Tompkins ein Interview über ihre Arbeit zu machen, war sicher herausfordernd, aber auch ganz natürlich.

Julien Fronsacq: Du lebst und arbeitest in Glasgow. In den 1990er gab es in der Stadt eine künstlerische Entwicklung, die einen der beeindruckendsten historischen Momente seit Charles Rennie Mackintosh (1868–1928) und den »Simple Minds« darstellt. [Lacht]. Einige der Glasgower Künstler teilen ein Interesse für Geschichte, obwohl mit verschiedenen Perspektiven. Wie würdest du deine Beziehung zur Moderne definieren?

Sue Tompkins: Ich denke, dass ich nicht versuche, oder nicht wirklich das Gefühl habe, dass ich mich über irgendeine besondere Beziehung zur Moderne definiere. Allerdings lebe ich seit dem Ende meines Studiums 1994 in Glasgow, und deshalb glaube ich, dass die Stadt eine Wirkung auf mich hatte. Die Stadt, dass ich hier lebe, und auch die Künstler, die hier leben. Das alles bildet sicher irgendwie den Hintergrund für meine Arbeit.

JF: Mit wem hast du studiert?

ST: In der Malereiklasse mit meiner Schwester Hayley Tompkins, Michael Fullerton, Sarah Tripp, Jim Lambie, Mary Redmond, Darren Marshall und sehr vielen anderen!

JF : Welche Musik hast du als Teenager und später während deines Studiums gehört?

ST: Pop, alles, Prince …

JF: Bis 2002 warst du Mitglied der Band »Life Without Buildings, zusammen mit Will Bradley (drums), Chris Evans (bass) und Robert Johnston (guitar). Wann bist du zur Band gekommen?

ST: 1999.

JF: Hast du die Texte für LWB geschrieben?

ST: Ja, habe ich. Der Rest der Band hat die Musik gemacht. Ich habe eine Meinung über die Musik zum Ausdruck gebracht, aber im Wesentlichen habe ich die Texte geschrieben und gesungen.

JF: Wie bist du dazu gekommen, mit Performance zu arbeiten?

ST: Ich habe Performance schon viel früher verwendet, aber nicht als Solokünstlerin und auch nicht mit der Band. Die erste Sprech-Arbeit »Wetness into Music«, habe ich in der Galerie Wilkes, die die Künstlerin Cathy Wilkes in ihrer Wohnung machte, aufgeführt. Das war meine erste öffentliche Performance oder Lesung, das war 1995. Das muss damals wohl eine bewusste Entscheidung gewesen sein, aber ich erinnere mich an sie mehr als die natürlichste und in gewisser Weise unausweichliche Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich hatte soviel geschrieben, und es vorzulesen, schien sich anzubieten. Ich sah nicht wirklich voraus, dass das zu so vielen Performances in der Zukunft führten sollte.

JF: Aus vielen Gründen sind deine Performances ziemlich einzigartig, aber es gibt viele Beispiele für Performances in der Kunstgeschichte. Ich denke an Schwitters, Hugo Ball, Hulsenbeck, Futurism, Vorticism, Ezra Pound, Fluxus, Yoko Ono. Yoko Ono ist eines der wenigen Beispiele von liedähnlichen Performances. Frank O’Haras radikaler Alltag und seine sehr direkten Gedichte fallen mir da auch ein.

ST: Ich will das eigentlich nicht definieren.

JF: Kannst du erklären, wie du die Texte für deine Performances schreibst? Verwendest du gefundenes Material, Liedtexte, Songs, Literatur? Montierst du zufällig, oder denkst du an Rhythmus, Tempo und Prosodie, wenn du schreibst?

ST: Nein, es ist nicht zufällig. Die Worte werden über einen langen Zeitraum gesammelt und aufgeschrieben und dann für den endgültigen Text bearbeitet, der nicht improvisiert ist. Es ist alles aufgeschrieben und wird so gesprochen wie es geschrieben ist. Mich interessieren viele Formen, wie Musik, Texte, Alltagssprache, Sprachmuster, Gespräche, ich übernehme aber nichts direkt. Der Prozess ist lang, es wird reduziert, neu definiert und ausgewählt mit der Zeit. 

JF: »More Cola War (2004), hat eine Textstruktur, die an einen Punksong ohne Instrumentalteil erinnert. Hier ein Auszug daraus: 
»Play _ play _ play _ play play play _ play play play play play play / Can you see me anymore _ can you see me anymore _ can you see me anymore _ can you see me anymore  _ can you see me anymore _ can you see me anymore _ can you see me anymore _ can you see me anymore _ can you see me anymore / I like you _ I like you _ I like you _ I like you I like you I like you / Hey there / I like you_ I like you _ I like you _ I like you _ I like you _ I like  _ I like you _ I like you / Mister _ mister _ mister _ mister _ mister _ mister _ mister mister mister mister mister _ mister _  _  mister _  _ mister  _ _  etc«. 
Es gibt keine richtige Melodie, aber die Betonung und der Satzrythmus scheinen einen unmittelbaren und expressiven Effekt zu unterstreichen. Du scheinst in deinen Performances zu singen, während du bei »Life Without Buildings« einen Sprech-Stil hattest. Das eine Projekt ist wie ein Gegenstück zum anderen. Wie würdest du das Verhältnis zwischen den Performances und den maschinengeschriebenen Arbeiten auf Papier definieren?

ST: Die Performances haben genau den gleichen Ursprung wie die maschinengeschriebenen Textarbeiten. Alle Performances enstehen aus hunderten Blättern maschinengeschriebener Texte, die geordnet und in in die Form gebracht werden, in der ich die Performance am Ende machte möchte.

JF: Wie Marinetti festgestellt hat, vermischen die Dadaisten in ihren Reden Worte und Klang, also »direkte Lautmalerei«, um Abstraktion mit etwas realistischer Brutalität auszugleichen.* Gleicht sich in deinen Performances dann Abstraktion, Pop und unmittelbare Expressivität aus?

ST: Das stimmt! Ich bin mir allerdings nicht sicher, dass sie ausgewogen ist!

JF: Wie machst du die Papierarbeiten?

ST: Ich verwende repetetiv Zeitungsdruckpapier, Schreibmaschiene und Faltungen.

JF: Über die Verwendung von Sprache hinaus, scheinen deine Performances und Papierarbeiten die Leere und die Architektur zu untersuchen, das Schweigen und den Rhythmus …

ST: Ja. Ich hoffe, dass sie eine wirkliche Vielfalt an Themen, Bezügen und Tönen umfassen.

JF: Was ist das Verhältnis zwischen den Arbeiten auf Papier und den Installationen?

ST: Ich beginne damit, das Papier auf das ich tippe, kleiner zu falten, so dass es in die Schreibmaschine passt und mache von da weiter. Oft beziehen sich die Faltungen direkt auf die Atmosphäre des Textes, wenn auch auf eine sehr subjektive Weise, wie ich zugebe!






JULIEN FRONSACQ ist Kurator am Palais de Tokyo in Paris.

SUE TOMPKINS, geboren 1971. Sie lebt in Glasgow. Sie nahm an zahlreichen internationalen Ausstellungen teil wie der Venedig Biennale 2005 (Schottischer Pavillon), »Momentum 2006«, the Nordic Festival of Contemporary Art (Moss, Norwegen), Tate Britain (London), Frankfurter Kunstverein, ICA (London), ARC (Paris).

Vertreten von The Modern Institute, Glasgow; Galerie Giti Nourbakhsch, Berlin; Galerie Diana Stigter, Amsterdam