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Portrait Luke Fowler

No. 20 / Sommer 2009

Northwest from Chesterhill, 2008-laufend
Kleine Phänomene

Die Arbeiten des Glasgower Filmemachers LUKE FOWLER, von seinen frühen Porträts ikonoklastischer Figuren wie Cornelius Cardew oder Xentos Jones über seine jüngeren Untersuchungen zu den physischen Eigenschaften des Films, sind von zwei beständigen Interessen bestimmt – Kollaborationen mit anderen und den »kleinen Phänomenen«. Von SARAH LOWNDES


»Ich begann, besser auf meine Umgebung zu achten, bemerkte die eigenartige Schönheit eines gewöhnlich als trist empfundenen simplen Korridors.« Das sagt Anna McLauchlan im Voiceover des Films »Paddington Collaboration« (2007), in dem sie dem Glasgower Künstlers Luke Fowler folgt, während er die kleinsten Details eines Wohnhauses in London dokumentiert. Der Film ist in einiger Hinsicht eine Umkehrung von »Swamp« (1971), jener legendären Zusammenarbeit von Nancy Holt und Robert Smithson. Dort fordert Smithson nämlich die desorientierte Holt, die vor ihm durch das Weideland New Jerseys stolpert, auf, weiterzufilmen. In der langsamen Studie von Fowler und McLauchlan wird niemand angetrieben. An einem Punkt fragt McLauchlan sogar laut, ob sie das Gebäude wohl jemals wieder verlassen würden, so akribisch werden die Moirémuster der Gardinen im Flur aufgenommen.

Bekannt wurde Luke Fowler mit drei Filmen über radikale Denker. »What You See Is Where You’re At« (2001) handelte vom Werk des schottischen Psychiaters, Psychoanalytikers und Zeitgeistautors aus den 1960er Jahren R.D. Laing, »The Way Out« (zusammen mit Kosten Koper 2003) porträtierte den enigmatischen Frontman der Band »The Homosexuals«, Xentos Jones, und »Pilgrimage From Scattered Points« (2006) den außenseiterischen englischen Komponisten Cornelius Cardew. Alle drei Filme bestanden aus Found-Footage, Archivmaterial und Neuinterpretationen von Texten, was jeden Film zur Neueröffnung eines Dialogs über historische Figuren und Ereignisse macht. Da Fowler aber seit nunmehr zwei Jahren auf 16 mm filmt, wurde er nicht nur immer interessierter an den physischen Eigenschaften von Film, sondern auch angeregt durch »room films« wie Gill Eatherleys Dreifachprojektion »Pan Film« (1972), Michael Snows Klassiker »Wavelength« (1967) oder dem jüngeren »Where A Straight Line Meets A Curve« von Butler und Mirza (2003). Dazu Fowler: »room films zeigen das Interesse von strukturalistischen Filmemachern an der Aufnahme von Raum, Licht und Prozess, während sich das traditionelle Kino für Orte, Charaktere und Handlung interessiert. Wichtig ist nicht immer das, was du vor die Kamera stellst, sondern wie du filmst. Die Aufnahmetechnik wird zum Gegenstand.«

»Paddington Collaboration« stellt zwei der Kernthemen in den Vordergrund, die bereits in Fowlers frühen Bricolage-Porträts und seinen weniger narrativen jüngeren Arbeiten zentral waren, nämlich Kunst als Möglichkeit zu sehen, Kollaborationen mit anderen einzugehen und sein Interesse an »kleinen Phänomenen«, die oft übersehen werden. In dieser Hinsicht hat sein Werk Ähnlichkeiten mit den Methoden der Free-Cinema-Bewegung, die, wie der Film- und Fernsehtheoretiker John Ellis beobachtet hat, »Montagetechniken und Ton-Bild-Disjunktionen für Filme benutzten, die nicht zeigten, wie Dinge ›wirklich aussehen‹, sondern wie sie wirklich sind«. Ein gutes Beispiel dafür ist »George« (2008), den Fowler als »sehr einfachen Film über das Beobachten sowie die Wechselbeziehung von Ton und Bild« beschreibt. »Gedreht wurde er«, so Fowler weiter, »zwischen der Wohnung von Gordon Schmidt in Garnethill – bei dem ich eine Ausstellung machen sollte – und meinem Haus in North Kelvinside. Ich nahm die Geräusche und Bilder zwischen diesen beiden Gebäuden auf, darunter unglaubliche akustische Phänomene wie stehende Wellen oder Echos, die man nur mit geeigneten Mikrophonen aufzeichnen kann.« Die komplexen und verwirrenden Tonspuren zu Fowlers Filmen (oft in Zusammenarbeit mit Sound-Künstlern entstanden) sind Ausdruck seines langen Interesses an Aufnahmetechnik, an selbst erfundenen Instrumenten und seit neuestem an Feldaufnahmen. Diese Vorlieben finden seit zehn Jahren auf Fowlers Independent-Plattenlabel Shadazz und als Musiker in zwei experimentellen Bands – Rude Pravo und Lied Music – Ausdruck.

»Ich mag dieses Zitat von Bresson, das ich erst kürzlich gehört habe: ›Ich mache keine Werke, sondern es sind Bemühungen‹«, so Fowler, »und für mich sind meine jüngsten Filme viel eher Bemühungen als fertige Arbeiten. Viel kommt daher, dass ich das verwendete Material untersuche und kennen lerne – Kamera und Mikrophone –, und ich nutze Aufträge von anderen dazu.« Als erster Preisträger des Jarman-Awards für Kunstfilme bekam Fowler 2008 den Auftrag zu vier ›Three-Minute-Wonder‹-Filmen, die im April dieses Jahres innerhalb einer Woche auf Channel 4 ausgestrahlt wurden. Thematisch konzentrierte sich Fowler für diesen Auftrag auf das Mietshaus, in dem er damals wohnte. Er bat vier der Bewohner um die Erlaubnis, in ihren Wohnungen filmen zu dürfen. Mit einer Bolex-Kamera und ein paar Mikrophonen nahm Fowler die Gegenstände und Geräusche in den Räumen von »Anna», »Helen«, »David« und »Lester« (alle 2008) auf, wobei er nicht nur die Persönlichkeiten der abwesenden Bewohner enthüllte, sondern auch das, was er als »Zeitschichten in den Wohnungen« bezeichnet. In »Lester« zum Beispiel erinnern die Kunstlederhüllen von Vinylsingles sowie die Stapel von Video- und Musikkassetten an eine Art, die Welt zu hören, die vom digitalen Zeitalter ausgelöscht wurde.

Fowlers gründlich recherchierte und genau beobachtende Arbeit bewirkt eine Umkehrung der Oberflächlichkeit und des Eskapismus der heutigen Kultur. In »Camera Lucida« (1980) bezeichnete Roland Barthes Kameras als »Uhren zum Sehen«. Die Zeitspannen, die Fowler freilegt, haben jedoch nichts mit der Uhrzeit zu tun, sondern beziehen sich auf die zugrunde liegenden Umstände. Genauso verhält es sich mit seinem Film »Hidden Knowledge« (2006), der wie eine einzige lange Aufnahme eines grünen Sees aussieht, die durch goldgelbe Blätter hindurch gemacht wurde. Das allmähliche dünkler Werden des Wassers und das Verblassen des Glanzes der Blätter packen den Zuseher unbewusst, da man durch die Bewegungen der Zweige im Wind wie in eine Trance versetzt wird. Fowler verwendet gerne Zeitrafferaufnahmen, doch nicht, um schneller durch die Ereignisse zu rasen, sondern um die verdeckten Muster des Seins zu enthüllen. So zeigt der Film »B8016« (2008), der in Zusammenarbeit mit Lee Patterson entstand, Wolkenschatten, die über Felder rasen, oder »David« (2008) Straßenverkehr in Zeitraffer, der mit Aufnahmen überblendet wird, die tagsüber vom Fenster aus gedreht wurden. Dadurch entsteht ein Gewebe von gemeinsamen Spuren, die mehrere Autos und ein Radfahrer hinterlassen – und ein verträumtes Mädchen, das für das Überqueren der Straße einen ganzen Tag und eine ganze Nacht braucht.

Dennoch hat Fowler seine frühere Beschäftigung mit Personen nicht ganz aufgegeben. Der Film »Bogman Palmjaguar« (2007) könnte als Verbindung der frühen Bricolage-Porträts mit seiner jüngeren Vertiefung in die strukturalistische Filmtheorie verstanden werden. Es handelt sich um das Porträt eines Mannes, der infolge mehrerer verstörender Geschehnisse beginnt, den Menschen mit Misstrauen zu begegnen und sich in die Natur zurückzieht. Gedreht wurde der Film während zweier Besuche in Bogmans Haus in einem entlegenen Dorf im Norden Schottlands. Er entstand zusammen mit der Sound-Künstlerin Lee Patterson und schildert das Flow Country, das Bogman zu seiner Zeit als Umweltschützer retten wollte. Die Leistung des Films besteht darin, einen begabten, aber exzentrischen Menschen einfühlsam und bewegend darzustellen. In den Szenen, in denen Bogman die Rufe des Goldregenpfeifers, des Brachvogels, des Grünschenkels oder des Schwarzhalstauchers, die ihn so sehr ergreifen, beschreibt, besitzt er auch eine poetische, ja fast hypnotische Qualität. Die Kamera schwenkt über Stechginster, Hirschherden oder einen goldenen Adler, der am Himmel kreist.

Im Mai 2009 fand in der Serpentine Gallery Fowlers erste Retrospektive statt, in der auch ein neuer Film gezeigt wird, nämlich »Composition for Flutter Screen« (2008), der zusammen mit dem japanischen Sound-Künstler Toshiya Tsunoda entstanden ist. Er handelt von einfachen Gegenständen oder Phänomenen, die unter sich permanent ändernden Bedingungen betrachtet werden. Fowler erklärt, dass auch dieser Film wieder eine Art »bruchstückhaftes Porträt« ist, und dass die vier in ihm gezeigten Gegenstände (der zitternde Meniskus auf einem Glas Wasser, ein vibrierender Draht, zwei brennende Kerzen und die Reliefkarte eines Gebirges) indirekte Anspielungen auf Tsunodas Arbeiten seien. Auch diese Arbeit soll die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das lenken, was Andrej Tarkowskij als »das, was in der Welt selbst liegt, ihr wesentlich ist und nicht von uns abhängt« beschrieben hat.

 


SARAH LOWNDES ist Dozentin und Autorin. Sie lebt in Glasgow.


LUKE FOWLER, geboren 1978 in Glasgow. Lebt in Glasgow. Letzte Einzelausstellungen u.a. in Serpentine Gallery London (2009), Kunsthalle Zürich (2008), Extra City Antwerpen (2007), Pilgrimage From Scattered Points, White Columns, New York (2006). Zu seinen Ausstellungsbeteiligungen zählen u.a. The Long Weekend, Tate Modern London; Yokohama Triennial; Pop! goes the weasel, Badischer Kunstverein, Karlsruhe (2008); Organizing Chaos, P.S.1 Contemporary Art Center, Long Island City (2007); Normalisering, Rooseum Centre for Contemporary Art, Malmö (2006).

Vertreten von THE MODERN INSTITUTE, Glasgow

Northwest from Chesterhill, 2008-ongoing