
Berlins neue Galeristinnen
Berlin macht einen Generationswechsel durch: während die Protagonisten der neunziger Jahre zunehmend zu grauen Eminenzen werden, setzen junge Galeristinnen neue Akzente. Von ANDREAS SCHLAEGEL
Crazy Sexyland, das war die Überschrift der Plakate, die die Berliner Erotikmesse bewarben. Eine gelangweilt wirkende blonde Dame schaute mit bemerkenswert teilnahmslosen Blick aus dem Foto, das wohl in den späten 1980er Jahren aufgenommen wurde. Dass dieses Plakat aus Berlin völlig verschwunden ist, zeigt, dass die Stadt in die Jahre kommt. In der Kunststadt aber sind es nicht die Frauen, die alt aussehen. Die überwiegend männliche Riege der 1990er-Künstler und Galeristen ergraut zwar in Ehren, und schickte zum Gallery Weekend bewährte und erfahrene Künstler auf die Piste, wie Sean Snyder, Carsten Höller, Simon Starling oder Hanne Darboven. Sie machen ihre Sache ganz gut, aber die frischen Impulse werden zunehmend von einer neuen Generation von überwiegend jungen Galeristinnen gesetzt.
So unterschiedlich sie sind, so fallen doch ein paar Gemeinsamkeiten auf: sie sind risikobereit, was junge Künstler, die auch mit sperrigen konzeptuellen Werken reüssieren, aber auch was Räume abseits der ausgetretenen Pfade angeht. Um die Galerien von Giti Nourbakhsch und Isabella Bortolozzi herum hat sich so etwas wie eine Szene gebildet, die auf vornehme Distanz zu den arrivierteren Kollegen in der Linien- oder Zimmerstraße geht, und ohne Rücksicht auf Auswirkungen der Wirtschaftskrise mit Selbstbewusstsein auf dem Markt auftritt.
Zwischen Kurfürstenstraße und Potsdamerstraße, im ehemaligen Berliner Westen, haben sich im letzten Jahr die Galerien Sassa Trülzsch, Sommer & Kohl, Cinzia Friedlaender und Tanya Leighton angesiedelt. Viele haben Erfahrungen in größeren Galerien gesammelt, nur Tanya Leighton fällt durch ihren Background als Kuratorin, unter anderem am ICA Philadelphia und dem New Yorker Whitney Museum, aus dem Rahmen. Ihre Ausstellung mit Pavel Büchler war eine der überzeugendsten Ausstellungen dieses jungen Jahres. In einer lakonisch ironischen Filminstallation mit dem Titel »L’imitation« ließ er obsolete Technologien ihre erzählerischen Möglichkeiten neu entfalten, von rotierenden Film- und Tonbandspulen, surrenden Diaprojektoren auf Hockern, begradigt durch leere Zigarettenpackungen und ihren Schatten. Die aktuelle Ausstellung ist dem jungen Schweizer Zeichner Aurélien Gamboni gewidmet, der in seiner ersten Einzelpräsentation eine Installation aus einander überlagernden Zeichnungen zeigt, mit Referenzen an so diverse Autoren wie Stephen King und Marx. Um die Ecke liegt die Galerie von Cinzia Friedlaender, die durch eine eigenwillige Folge von Ausstellungen mit Protagonisten der Hamburger Schule, wie Justus Köhncke, Dirk von Lowtzow und Jutta Pohlmann, auf sich aufmerksam machte, und sich damit den Ruf einer Art Promi-Kunst Galerie einhandelte. Dass dem nicht so ist, bewies sie mit präzisen Schauen, den fragilen Rasiermesser-Malereien von Matthias Schaufler, oder den aktuellen, magischen Diainstallationen der Koreanerin Sunah Choi.
Nur ein paar Monate länger sind Salome Sommer und Patricia Kohl dabei, die in einer ehemaligen Bettfedernmanufaktur ebenso verspielte Positionen wie die narrativen Assemblagen von Kara Uzelman, aber auch interventionistische Skulpturen von Knut Henriksen oder die formal strengen, an minimalistischen Positionen orientierten Installationen von Riccardo Previdi zeigen. Bereits drei Jahre dabei und vollwertige Teilnehmerin des Gallery Weekend, mit Plänen für die großen Messen im Sommer und Herbst, gerät man in Versuchung, Sassa Trülzsch zur Grande Dame dieser Szene zu küren, die sich ihren Ruf mit konzentriert arrangierten Kabinettstückchen von sehr jungen Künstlern, wie Fiete Stolte, aber auch etablierter Positionen, wie Dieter Detzner oder Aura Rosenberg erwarb. In neuen, frisch renovierten Räumen ließ sie zur Eröffnung am Vorabend des Galerienwochenendes den Münchner Künstler Alexander Laner das Treppenhaus mit neonfarbenen Tontauben beschießen, deren Splitter fast bis in den Vorraum reichten, wo die dezenten Übermalungen von Zeitschriftenbildern der jungen Dänin Sofie Bird Møller hingen und Facetten der Schönheit von Zerstörung zelebrierten.
Eine weitere Teilnehmerin des Gallery Weekend war Micky Schubert, die in ihren Kreuzberger Räumen auf Fotografien holländischer Flaggen basierende Gemälde des Glasgower Malers Alan Michael zeigte. Nicht nur mit der Wahl ihres Standorts, auch mit der Auswahl ihrer Künstler wie etwa dem jungen Polen Maximilian Zentz Zlomovitz, oder durch die formalistisch subversiven Skulpturen von Thea Djordjadze, die auf der 5. Berlin Biennale Aufmerksamkeit erregten, demonstriert sie Eigenständigkeit. Ähnlich wie Sabine Schmidt, deren Galerie PSM in einer ehemaligen Autogarage in der Straßburger Straße vor kaum einem Jahr mit einer furiosen Klanginstallation des japanischen Soundkünstlers Ujino Muneteru eröffnet. Mit den an konzeptuellen künstlerischen Strategien geschulten Arbeiten des Norwegers Øystein Aasan (er wie auch die Galeristin ehemalige Mitglieder des Art Critics Orchestra, ebenso wie der Autor – soviel Transparenz muss sein), oder den auf moderne Architekturen anspielenden, schrullig humorvollen Skulpturen der Dänin Sophie Erlund demonstrierte sie eindrucksvoll eine eigene Position in den aktuellen Diskursen um Referenzialität und Postmoderne. Parallel zum Galerienwochende war dort ein postapokalyptisches Szenario des Texaners Daniel Jackson zu sehen, mit abstrakt wirkenden, auf historischen Camouflage-Mustern basierenden Gemälden, echten Weltkriegs-Panzersperren und einer Selbstdarstellung des Künstlers als vermummtem Anarcho-Penner. Spätestens mit der nächsten Ausstellung, kuratiert vom New Yorker Kritiker und Kurator Bob Nickas, mit vielen großen Namen, wird PSM dem Geheimtipp-Status entwachsen sein.
Und wenn man ins Feld führt, welche der jungen Galerien hier noch nicht einmal gestreift wurden, von Sandra Bürgel, Lena Brüning, Isabella Bortolozzi bis zu Jennifer Chert, von den geplanten Neueröffnungen ganz zu schweigen, dann verstärkt sich der Verdacht, dass sich hier ein Generationswechsel ankündigt. Berlin ist heute vielleicht mehr denn je in der Kunst wirklich Crazy Sexyland.
ANDREAS SCHLAEGEL ist Künstler, Kritiker und Schlagzeuger im Art Critics Orchestra. Er lebt in Berlin.


