
In den 60er Jahren galt LEE LOZANO (1930–1999) als eine der zentralen Gestalten der Kunstszene von New York. Ihr vielfältiges malerisches und zeichnerisches Werk reicht von satirisch sexualisierten Werkzeugbildern über abstrakte Op-Art-Gemälde bis zu Reflexionen über das Medium Tafelbild in Form perforierter Leinwände. Ende der 60er Jahre verband sie in ihren konzeptuellen „Pieces“ Kunst und Leben auf immer radikalere Weise, um 1970/71 mit dem „Dropout Piece“ für immer aus dem Kunstbetrieb auszusteigen. Seit ihrem Tod beginnt sich dieser wieder verstärkt an sie zu erinnern, zuletzt mit einer großen Retrospektive im P.S.1. Ein Porträt von HANS-JÜRGEN HAFNER.
„I will not call myself an art worker but rather an art dreamer and I will participate only in a total revolution that is simultaneously personal and public.“ (Lee Lozano, Statement vom 10. April 1969)
Aus der Distanz betrachtet, verschwimmen mehr und mehr die Konturen. Fest steht: Hektische Betriebsamkeit herrscht im Village und Umgebung. Ausstellungen werden in großer Eile gemacht und rege diskutiert, Drucksachen aller Art in die Wege geleitet und schnell in Umlauf gebracht, Briefe und Telefonate gehen hin und her. Und selbst wenn der Kreis der aktiv Beteiligten überschaubar scheint - eine kleine, beinah verschworene Szene von Künstlern und Kritikern, dazu einige wenige Händler und Galeristen -, ist die virulente Gemengelage der teils auf heftigste Abgrenzung bedachten künstlerischen Projekte zu dieser Zeit, sagen wir, etwa ums Jahr 1969 herum, aus heutiger Perspektive trotzdem kaum mehr differenzierbar: Rund um Minimal, um Land Art und natürlich die in immer neuen Nuancen verfeinerte Konzeptkunst verändern sich rasant Parameter und Profil des zurzeit an Kunst Möglichen.
Und je radikaler die formalen und thematischen Spielräume all die aktuellen Kunstpraktiken frei legen, desto spitzfindiger fallen die internen Abgrenzungen aus. Anstelle von Bildern und Skulpturen tritt „Kunst als Idee“. Die artikuliert sich an der Grenze zum Unsichtbaren: über Text, wird temporär realisiert oder findet in vorab festgelegten Situationen, in Versuchsanordnungen, oft sogar ohne Publikum, statt. „De-Materialization“ heißt eines der Zauberworte der Stunde. Damit etabliert die Kunstkritikerin und Kuratorin Lucy Lippard, theoretisches Mastermind der progressiven Downtown-Szene, ein probates Werkzeug: So legitimiert sie die neuen künstlerischen Praktiken als kunstmarktkritisch, grenzt gegen den offiziellen, malereifixierten Betrieb ab - verfängt sich dabei aber trotzdem im Fahrwasser des modernistischen Theorems einer ständigen Selbstverbesserung der Künste.
Trotzdem - der Look der Kunst und damit die Bedingungen ihrer Wahrnehmung ändern sich nachhaltig: Fotos, bald auch die ersten Videos liefern nur mehr Anhaltspunkte für Erinnerungen, bilden nicht das „Werk“, sondern sind „Dokument“; bezeugen Handlungen, Interventionen, Prozesse. Und während die neue Kunst in den Augen ihrer Kritiker mehr und mehr zum Glaubensakt gerät, befassen sich viele sehr konkret mit sozialpolitischen Fragen. Die Art Workers Coalition etwa fordert neben einer allgemeinen Verbesserung der Lage von Künstlern eine Minderheitenquote im Ausstellungsbetrieb.
Aber während sich Szenegrößen wie Sol LeWitt eher pragmatisch für eine zeitgemäßere Museumspolitik einsetzen, tritt Lee Lozano mit einem ganz anders gelagerten Programm an: Sie führt sich bei einem Hearing der Coalition am 10. April 1969 nämlich als „art dreamer“ - entgegen dem gängigen „Kulturarbeiter“-Image - ein und fordert mit großer Geste eine allumfassende „art revolution“. Genauer: Sie tritt ein für eine „total personal & public revolution“1.
„I will not seek fame, publicity or suckcess.“
(Lee Lozano, 8. September 1971)
Lange Zeit war es still um Lee Lozano, eigentlich Lenore Knaster (1930-1999). Zumal als Künstlerin war sie bereits Anfang der 70er Jahre aus dem turbulenten New Yorker Kunstbetrieb verschwunden - trotz guter Eingebundenheit und nennenswerter Karrierechancen. Neben Ausstellungen in Köln, Halifax und London konnte sie 1970 immerhin eine Solo-Schau im Whitney Museum für sich verbuchen, regelmäßige positiv-kritische Resonanz inklusive. „E“, wie sie zuletzt genannt wurde, isolierte sich, und nur ihr Joey-Ramone-Look erinnerte noch an „Szene“.
Unter extremen sozialen und ökonomischen Bedingungen lebte sie die folgenden Jahrzehnte vor allem in Dallas. Dort verstarb sie Anfang Oktober 1999. Und obwohl Lucy Lippard sie in einer 1995 erschienenen, feministisch motivierten Übersicht zur Konzeptkunst als „the major female figure“ in New Yorks Art World der 60er bezeichnete2, steht eine umfassende Würdigung von Lozanos Werk ebenso aus wie eine Klärung ihrer Position im Rahmen der Vielfalt konzeptueller Tendenzen. Seit 1998 mehren sich bemerkenswert heterogene3 Symptome eines erneuerten Interesses am komplex-obskuren Plot „Lozano“ ebenso wie an ihrem Werk.
Über rund zehn Jahre entwickelt, erscheint dieses Werk heute so vielgestaltig-reizvoll wie disparat-sperrig. Tatsächlich setzt die „Wiederentdeckung“ der Künstlerin 1998 über eine Art Powerplay ein, mit gleichzeitig drei Ausstellungen in New Yorker Galerien sowie einer Retrospektive am Wadsworth Atheneum in Hartford/Connecticut. Sämtliche Projekte konzentrieren sich auf spezielle Werkgruppen aus Lozanos Œuvre; der Blick richtet sich vor allem auf das reich schattierte malerische Werk, bei dem sich frühe Figurationen („Early ’60s“ und mächtig auftrumpfende „Tool Paintings“) gegen ausgeklügelt schöne Minimal absetzen. Für die erneute Rezeption erweist sich die Schau in Hartfort jedoch als am meisten ergiebig und nachhaltig.
Dabei wird Lee Lozanos malerisches Chef d’Œuvre, die elfteilige „Wave Series“ (1967-1970), erstmals mit Textarbeiten und Auszügen aus den Notiz- und Tagebüchern der Künstlerin kombiniert und so die Aufmerksamkeit auf eine ganz andere Facette des künstlerischen Projekts von Lozano gerichtet.
„I have started to document everything because I cannot give up my love of ideas.“ (Lee Lozano, 3. Februar 1968)
Aus diesen mit größter Akribie durchgeführten Aufzeichnungen ersteht ein detailliertes Panorama zwischen Kunst und Leben. Lozano begleitet nämlich nicht nur ihre Malerei mit ausgefeilten Skizzen, Merkhilfen und Ideenprotokollen. Sie geht so weit, Biografie und Kunst nach und nach zur Deckung zu bringen.
Lozano ästhetisiert ihren Alltag und zeichnet in den Tagebüchern die Auswirkungen ihrer Versuchsanordnungen auf: etwa wie sich über mehrere Wochen konstanter Haschisch-Konsum auf sie auswirkt. Den teils performativen, teils asketischen Erkundungen der eigenen Befindlichkeit (Malen in gezielten Rauschzuständen, Masturbationspraktiken etc.) stehen präzise kalkulierte Sozialsituationen gegenüber, wenn sie - wie als Vorwegnahme der gerade in den 90ern populären Interaktionsmodelle - irritierten Besuchern z. B. aus einem Marmeladenglas Geld „for free“ anbietet. Die Aufzeichnungen der Tagebücher dienen Lozano als Material für „Language Pieces“. In sorgsam handschriftlich ausgeführten Versalien nehmen die Textblätter für sie sogar den Status von Zeichnungen an, wie sie im „Clarification Piece“ vom 28. Juli 1969 nahe legt. Solche in der Regel indexikalische Textarbeiten mit Performance-Charakter sind in der Zeit als durchaus selbstständige Kunstwerke en vogue. Sie werden für Ausstellungen, oft auch zur Publikation und Verbreitung in Katalogen oder Fanzines konzipiert.
Besonders die Hardcore-Konzeptler Robert Barry, Douglas Huebler, Joseph Kosuth und Lawrence Weiner führen ähnlich gelagerte Arbeiten aus: Die „Statements“ von Weiner sind seither ja zu einer Art Konzeptkunst-Ikone avanciert. Doch bei Lozano hat Konzept immer auch einen existenziellen Beigeschmack. Ja durch die vielfältigen Bedeutungssedimente der „Language Pieces“, die zwischen Atmosphäre und historisch-soziologischem Kolorit, Kunst-Klatsch und Partitur, O-Ton und stringenter konzeptueller Planung pendeln, werden sie für den heutigen Leser ungemein plastisch. (Überhaupt scheint Lozano immer mit dem potenziellen Leser im Kopf, wie vor laufender Kamera, agiert zu haben. Dabei ergeben sich interessante Parallelen - einerseits zu Vito Acconcis obsessiven Video-Selbst-Dokumentationen. Zum anderen: Lozanos Exerzitien verselbständigen sich zur selben Zeit in den Alltag, als Adrian Piper mit ihrer isolierten Kant-Lektüre „Food for the Spirit“, begleitet von selbstvergewissernden fotografischen Selbstporträts, beginnt.)
Vom 21. April ’69 an initiiert Lozano im Rahmen des „Dialogue Piece“4 eine monatelang fortgesetzte Reihe von Gesprächen: vor allem mit Künstlern wie Robert „Moose“ Morris, James Lee Byars, Dan Graham, Ian Wilson5 oder Bob „Smitty“ Smithson, aber auch mit Galeristen (Rolf Ricke, der ihr 1969 eine Einzelausstellung in Köln einräumt), Kuratoren (Marcia Tucker) oder auch der Mutter der Künstlerin. Lozanos protokollarische Aufzeichnungen lesen sich wie ein Who is who der Downtown-Szene. Mehr noch verzeichnen sie - neben der persönlichen Einschätzung der Qualität einzelner Gespräche, die meistens in Lozanos Wohnung, seltener am Telefon stattfinden - sehr exakte Überlegungen über die formale Gestalt des „Piece“: „THE PURPOSE OF THIS PIECE IS TO HAVE A DIALOGUE WITH AS MANY PEOPLE AS POSSIBLE, NOT TO MAKE A PIECE.“ Im Gegensatz zu vielen längst nur mehr autorelevanten Arbeiten im Umkreis der Konzeptkunst will Lozano Kunst und Leben in Engführung halten, ja wird sie zuletzt in bis heute verstörender Weise zur Deckung bringen. „The series before it is sold must be shown as a set and at a ‚reputabale‘ place with good space in New York City.“ (Punkt 5 von Lee Lozanos „Fantasy“, 9. Februar 1969) Gleichzeitig mit ihren sozialen, aber auch alltagsregulierenden Performance-Experimenten arbeitet Lee Lozano an ihren Bildern weiter. Ab 1957 hatte sie mit Erfolg am Art Institute of Chicago studiert, dort einen roh figurativen, cartoonesken Mal- und Zeichenstil entwickelt. Ihre frühen Cartoons, oft gezeichnete Wortwitze/„puns“ wie z. B. „Cock in the Pocket“, sind offensiv sexualisiert. Werkzeug und Genitalsymbolik, grotesk grinsende Masken treffen auf fett übers Blatt geschriebene Slogans. Die wenigsten dieser Blätter sind dabei qualitativ hervorstechend. Bei aller Outsider-/Brut-Allüre spielt Lozano die Plots jedoch in immer neuen Variationen durch. Selbst wildeste gestische Attacken erscheinen durch Wiederholung wie systematisiert. Noch konsequenter präsentieren sich die gewaltigen „Tool Paintings“: obsessiv repetierte, wie unter größten Mühen in immerhin beachtliche Leinwandformate hineingequetschte Hämmer- und Zangen-Kompositionen, denen trotz ihrer malerisch unmittelbaren Wucht umfangreiche Vorarbeiten in Skizzen und Kompositionsplänen vorausgehen. 1964 verändert Lozano ihren Stil total. Vielleicht aufgrund einer mehr rezeptionsorientierten Arbeitsweise wird Expression zugunsten mechanistisch stilisierter Sujets und verdichteter Oberflächen aufgegeben. Jedenfalls scheinen Entscheidungen in puncto Verortung zu fallen: Denn Pop liegt zum Greifen ebenso nahe, wie der Turn hin zu Minimal möglich wird. (Die Arbeiten bis 1964 könnten neben ihrer Affinität zur Pop Art freilich auch vorausgreifen aufs „Impure“ Philip Gustons, seinen späten Ausstieg aus der Abstraktion.) Fest steht: „System“ wird zunehmend zu Gegenstand und Herstellungsweise der Bilder Lozanos. Nach farbig sparsamen, plastisch herausgearbeiteten Konstruktivismen wie „Ream“ oder „Slide“ beschäftigt sie sich über drei Jahre mit der Realisation der „Wave Series“. Die „Wellen“ basieren auf Überlegungen zur Physik, ihr mathematischer Vorlauf mündet in einen rigiden Fertigungsplan: Nach Festlegung der Komposition werden die Leinwände jeweils in einem einzigen performativen Malakt (bis zu drei Tage Nonstop-Arbeit!) realisiert. Die Resultate selbst geben sich so majestätisch-opak wie verführerisch-schillernd. Ja sie wollen sogar in spezifischer Weise als Installation - in einem schwarz gestrichenen Raum als Serie an die Wand gelehnt und mit dramatischer Beleuchtung - mehr denn je erfahren als gesehen werden.
„Can’t think, can’t write, can’t draw.“
(Lee Lozano, nach einer Skizze vom 9. November 1970)
Das Schreiben über Lee Lozano nimmt immer auch pathografische Züge an. Kaum ist Werk und Biografie noch voneinander zu trennen. Bereits im Februar 1969 kulminieren ganz verschiedene, teils auch widersprüchliche Stränge in Lozanos Lebensführung und Arbeit. Mit dem „Withdrawal Piece“, das dann im „General Strike Piece“ Eingang findet, beginnt - genüsslich in Szene gesetzt - ihr langsamer Rückzug, zuerst aus dem offiziellen Kunstbetrieb. Ab wann die Kunst das Leben übernimmt, Lozano zum „Fall“ wird, ist nicht zu klären. Ihre Widerstände gegen die Umgebung wachsen. 1971 beginnt Lozano die Kommunikation mit Frauen, zunächst für bestimmte Zeit, zu boykottieren. Kurz darauf verlässt sie New York. Aus den performativen Übungen wird Ernst. Mit Frauen wird Lozano nie mehr sprechen.
HANS-JÜRGEN HAFNER ist Autor und Kritiker für zeitgenössische Kunst und Musik und lebt in Nürnberg.
LEE LOZANO 1930 als Lenore Knaster in Newark, New Jersey, geboren. 1948–51 Studium der Philosophie und Naturwissenschaften an der University of Chicago, B. A. 1952–56 Angestellte der Container Corp. of America. 1956 Eheschließung mit dem Designer und Architekten Adrian Lozano. 1957–60 Kunststudium am Art Institute of Chicago. 1959 ausgedehnte Europareise. 1960 Trennung von Adrian Lozano und Übersiedelung nach New York. 1971 Beendigung der künstlerischen Tätigkeit, Wegzug von New York, gilt für zehn Jahre als untergetaucht. Zieht 1982 zu ihren Eltern nach Dallas, Texas, wo sie 1999 stirbt.
The Estate of Lee Lozano/Hauser Wirth, Zürich, London, New York




