
Bekannt geworden mit Videos und Romanen, die auf oft fantastische Weise die Manipulierbarkeit moderner menschlicher Beziehungen thematisieren, hat KEREN CYTTER umgesattelt. Vor zwei Jahren gründete sie die Tanztheaterkompagnie D.I.E. NOW (Dance International Europe Now), und stellte zuletzt ihr Stück »The True Story of John Webber and his Endless Struggle with the Table of Content« auf dem internationalen Parkett vor. ANDREAS SCHLAEGEL sprach mit der Künstlerin.
Keren Cytter: Gefällt dir mein Plakat für D.I.E. NOW? Ich hab’ es auf Facebook gepostet. Ich kann mich nicht erinnern, dass du etwas dazu gesagt hast. Da ist es …
Andreas Schlaegel: Wo bist du? Ah, du bist die Hand!
Luc, glaube ich, hat gesagt, »ziehen wir uns doch alle aus«. Und als dann alle nackt waren, zog er sich wieder an. Fabian war sehr schüchtern. Das hat lange gedauert.
Du hast einmal gesagt, dass nicht alle Tänzer sind. Fabian ist Schauspieler?
Fabian ist Schauspieler, Susie ist Schauspielerin, Dafna ist Videokünstlerin, Andrew Video- und Performancekünstler, Luc Pantomime. Er hat an der einzigen Pantomimeakademie studiert, die es gibt, nämlich in Holland. Man lernt dort, verschiedene Körperteile einzeln zu kontrollieren.
Fangen wir mit dem Praktischen an. Wie organisierst du deine Videodrehs? Hast du eine Struktur, eine kleine Maschine, die die Arbeit für dich macht?
Ja und nein. Ich organisiere alles selbst. Meistens arbeiten etwa fünf Leute an einem Video, Dafna als Produzentin, ich und die Schauspieler. Ich filme alles selber. Schau dir mal meine Hände an! Das sind doch Arbeiterinnenhände, oder? Einmal hat mich eine Besucherin um einen Tipp zum Filmen von Dokumentarvideos gefragt. Ich habe ihr gesagt: Trink keinen Kaffee vor dem Dreh, sonst zittern deine Hände zu stark. Das ist der einzige Tipp, den ich dazu geben kann. Ich mache auch den Schnitt selber.
Du arbeitest oft mit denselben Leuten zusammen und nutzt die Dynamik, die in dieser kleinen Gruppe entsteht. Hast du je daran gedacht, größere Produktionen zu machen?
Bisher hab ich eine Großproduktion gemacht. Das machte viel mehr Spaß, weil ich Vieles an andere delegieren konnte. Andererseits gab es am meisten Arbeit in der Anfangsphase, beim Geldauftreiben und so.
Das Theater ist aber eine größere Sache, oder? Du musst mit Technikern arbeiten, für das Licht usw…
Ja schon, aber ich wusste genau, wie die Beleuchtung sein sollte. Natürlich hatte ich dann während der Arbeit neue Ideen. Die Beleuchterin kam am Anfang, dann mitten drinnen, dann wieder gegen Ende, und wir entschieden dann, dass wir mehr als 150 Einsätze für das Licht haben wollten. Das sei viel, meinte sie. Der Sound kommt von einem DVD-Player, den die Schauspieler hinter der Bühne bedienen. Ich muss also nicht noch jemanden instruieren, und so haben wir genug Probenzeit.
Hast du dir zur Inspiration Theaterstücke in Berlin angesehen?
In den letzten fünf oder sechs Jahren bin ich überhaupt nie im Theater gewesen.
Kein einziges Mal?
Nein. Ich hab nur unlängst in London nach unserer Aufführung an der Tate den Tänzer Michael Clark gesehen. Aber ich habe guten Geschmack. Ich weiß, wie man mit dem Publikum flirtet.


Nein, wir sind ja jetzt eine Stiftung. Ursprünglich war das Projekt ein Teil der Kuratorenplattform If I can’t dance, I don’t want to be part of your revolution Ende 2008. Aber dann wurden wir immer größer, bis wir eine eigene Kompagnie waren. Und die Leute wollen uns. Also beschloss ich zusammen mit den Produzenten, die Sache in eine Stiftung umzuwandeln. 2011 wird’s eine neue Show geben. Wir proben schon.
Hat sich innerhalb der Gruppe etwas verändert, seit ihr eine Stiftung seid?
Nicht viel. Ich weiß nur nicht, ob man eine Stiftung haben darf, die D.I.E. NOW heißt.
Vielleicht deswegen, weil wenn jemand stirbt, seine Leiche die Basis für etwas Neues wird?
Ja, genau! Also stirb jetzt! Nein, es ist halt finanziell einfacher jetzt.
Aber wird es auch ein neues Stück geben?
Wir haben 2008 mit einem kleinen Stück am De Appel angefangen, dann kamen weitere kleine Stücke im Café und in Bilbao. Dasselbe Stück machten wir auch fürs Hebbel am Ufer in Berlin. Das ist das mit dem Spiegel.
Gibt es einen Zusammenhang mit Dan Grahams »Performer/Audience/Mirror« (1977)?
Ja, den Termindruck. Ich hatte nur zwei Tage zum Schreiben und überhaupt keine Zeit, etwas Neues zu erfinden. Das Stück habe ich im Internet gefunden und dann beschlossen, es einfach zu nehmen. In Dublin haben wir dann zum ersten Mal etwas auf der Bühne entwickelt, eine halbstündige Sache. Und dann kam schon das jetzige, der »Table of Content«. Wir haben also sehr viele kleine Aufführungen.
Wie hast du die Gruppe zusammengestellt?
Luc und Dafna kamen bei der ersten Show dazu. Wir arbeiteten gerne zusammen, also nannten wir uns Tanzkompagnie. Susie hat schon in meinen Filmen mitgespielt, also bat ich sie mitzumachen, und Andrew ist ein Freund von mir. Wir haben zusammen studiert, und so habe ich ihn auch gefragt, ob er mitmachen will. Er ist seit der zweiten Performance im Café mit dabei. Und Fabian ist dann bei der großen dazugekommen.
Wird das neue Stück eine Fortsetzung von »Table of Content«?
Nein. Ich denke an einen neuen Stil, vielleicht realistischer. Für das letzte Stück haben wir einen Monat geprobt, für das neue werden es wahrscheinlich zwei Monate werden. Wir können uns ja nicht nur auf unseren Charme verlassen ….
Nicht mehr?
Ich weigere mich zu denken, dass ich nicht charmant bin! Nein, ich will einfach etwas Neues machen. Als wir begannen, wusste ich gar nichts über Tanz, aber jetzt verstehe ich etwas mehr davon. Ich verstehe, dass die Schauspielerei auf der Bühne viel wichtiger ist als im Film, und dass man auf der Bühne nicht so leicht eine Rückblende darstellen kann. Auf der Bühne vergeht die Zeit schneller als im Film. Deswegen werden schnelle Dialoge auf der Bühne extrem mühsam. Ich muss mich also auf dieses neue Wissen verlassen. Es wird eine Mischung aus vier Tänzen. Ich habe eine DVD von William Forsythe, die ich noch anschauen will, um etwas dazu zu lernen. Ich habe nämlich vor, Tanzexpertin werden. Ich halte sogar einen Vortrag über Tanz in Glasgow!
In der Zusammenfassung vom »Table of Content« hast du eine ganze Reihe von Einflüssen erwähnt, zum Beispiel Pina Bausch, Yvonne Rainer und …
Vergiss nicht das thailändische Schattenspiel. Und es stimmt: Yvonne Rainer verwendet wie wir repetitive Bewegungen und Pina Bausch hat eine theatrale Tanzform entwickelt. Außerdem verwenden wir Michael Jacksons Moonwalk, Lambada – das kommt alles bei uns vor. Wir haben sogar einen »Riverdance« gemacht, um die dritte der vier Shows in Berlin aufzupeppen. Am Abend vor der Aufführung beschlossen wir, dass Dafna den »Riverdance« machen sollte, während Fabian mit seinen Händen Dreiecke beschreibt. Sie hat eine Stunde geprobt und es mir dann gezeigt. Ich sagte: Das ist aber kein »Riverdance«! Sie antwortete: Ich gebe mein Bestes, okay? Während der Aufführung fragte mich jemand: Was macht sie denn da? Und ich darauf: Ha, siehst du, das ist was Neues! Sie war sehr schnell. Ah ja, und ein Mädchen hat Dafna nachher gesagt, dass ihr dieser Teil am besten gefallen hat, weil in diesem Moment die Show »völlig abstrakt« wurde. Das war nett. Wir haben’s aber nicht noch einmal gemacht. Aber ich mache mich natürlich klein, wenn ich den »Riverdance« nicht als Inspirationsquelle genannt habe.






Ich habe ihn so angelegt, dass er einfach dasitzt und gegen Neonazis demonstriert. Das ist auch meine Kritik an den Liberalen. Ich bin ja eigentlich eher rechts. Ich glaube, die meisten Freiheitsaktivisten sind extrem unliberal. Die Kellnerin verliebt sich in ihn wegen des »Aromas seiner Überzeugungen«. Sehr sexy. Genau deswegen fallen ja die Leute auf solche Typen herein. Nur ich nicht. Ich falle auf Faschisten herein. Wie schon Sylvia Plath gesagt hat: »Jede Frau betet einen Faschisten an«.
In deinem Stück verlieben sich die Personen und dann wechseln alle ihr Geschlecht …
Ich hatte die Idee für einen Film mit Geschlechtsumwandlung. Ich wollte, dass der Film realistisch wie ein Dogma-Film beginnt. Ein Typ wacht auf, schaut in den Spiegel und man weiß nicht, was los ist. Er geht ins Wohnzimmer, beginnt an sich herumzuspielen, onaniert. Die Zeit vergeht. Dann, vielleicht eine halbe Stunde später, nimmt er das Telefon ab und erst als er zu sprechen beginnt, merkt er, dass er eine Frau war, aber als Mann aufgewacht ist. Dann geht der Plot los. Das war die Ursprungsidee. Aber dann wollte ich die Idee fürs Theater verwenden, und uns fiel keine Fortsetzung der Geschichte ein. Also machten wir kleine Performances, und als dann Andrew dazu kam und meinte, er wolle im großen Stück sterben, da wusste ich: Er ist John Webber. Von da an ging’s dann leicht. Man weiß, man will jemanden umbringen, und man weiß auch schon, wen …. Langsam ist mir dann ein Motiv dazu eingefallen. Nach einiger Zeit fiel mir ein, dass die ganze Welt eine Geschlechtsumwandlung durchmachen müsste, damit die Sache schlüssiger wäre. Wenn es nur John Webber gewesen wäre, wär’s einfach nur schräg gewesen. Als ich also wusste, dass er sterben würde, fiel mir nach und nach die ganze Geschichte ein. Jemand müsste ihn beschuldigen, und dann würden die Männer, die zu Frauen geworden waren, ihre Macht zurück wollen.

Die sind aus The Trap, einer Doku von Adam Curtis. Ich hatte sie gerade gesehen und fand, das passt gut.
Man bekommt den Eindruck, dass das vielleicht eine Phantasie ist.
Als ob alle verrückt werden würden. Ich wusste, dass du da einen Zusammenhang sehen wirst.
Und der andere Teil – über die Yanomami in Venezuela?
Ich habe alles aus »The Trap« genommen. Das ist eine faszinierende Serie. Sie hat drei Teile, aber nur die ersten beiden sind gut. Dann wird nur noch banale Politik gemacht. Da ist dann noch dieser bärtige Typ, Alan Watts, ein Philosoph. Seinen Namen habe ich in Zusammenhang mit Derrida entdeckt. Er ist ein bekannter, aber umstrittener Philosoph. Ich suchte noch nach etwas anderem außer »The Trap«, und Watts war der erste Treffer auf Google. Ich dachte: Ich könnte ja seine Vorträge verwursten. Er sieht wie ein Guru aus, aber wenn er spricht, bekommt man das Gefühl, er wisse nicht, worüber er spricht oder erfände alles einfach spontan. Ich las die Reaktionen auf Watts auf Youtube. Er wurde aus völlig falschen Gründen gelobt! Ja, der ist ja Spitze, endlich einer, der eine normale Sprache spricht und gute Erklärungen und Metaphern hat.
Also noch einmal von vorne: Du hast das Skript geschrieben und es dann den Schauspielern gegeben?
Und ich hab die Musik gemacht! Ich hab sie mit GarageBand komponiert, das ist nicht unbedingt so schwierig wie Gehirnchirurgie. Das Skript war ja viel lustiger, als wir es zum ersten Mal zusammen gelesen haben. Vielleicht weil wir uns noch nicht an die Witze gewöhnt hatten. Die Tänzer hatten es auch noch nicht richtig verstanden. Sie mussten sich etwas ausdenken.
Inwiefern?
An einer Stelle müssen sie zum Beispiel laut Skript einen Liebestanz aufführen, den sie zur Musik dazu erfinden mussten. Das hat ein bisschen gedauert. Ein paar Mal gab es Streit, weil sie Dinge gemacht haben, die mir nicht gefielen. Ich hörte auf sie, bis ich feststellte, dass ich das besser lassen sollte, weil sie sich ja nicht selbst sehen können. Also sagte ich ihnen, sie hätten ab jetzt keinerlei Mitsprache mehr, wir machten meine Änderungen und fertig …
Was die Bühne betrifft: Sind das Bühnenbild und die drei Leinwände und die Schatten auch von dir?
Ja. Wir hatten ja nicht das Budget, um die Geschlechtsumwandlung einer ganzen Gesellschaft zu zeigen! Mir fiel ein, dass ein Schattenspiel eine hübsche Lösung wäre, um das zu visualisieren. Außerdem ist es sehr lustig, wenn man nicht so viele Akteure hat. Hat wirklich prima geklappt! Ich wusste vorher gar nicht, dass Schatten so scharf sein können.
Ich mochte die Wiederholung am Anfang. Andrew ist sehr präzise in seinen Bewegungen und seiner Aussprache.
Das ist improvisiert! In Wirklichkeit war das die Imitation eines echten Fehlers. Er kotzte mich an, weil er sich nicht einmal entschuldigt hat.
Es führt auch dazu, dass das Publikum genauer hinhört, was er sagt. Man versucht den Fehler zu finden, aber auch zu verstehen, worum es im Stück geht.
Keine wichtige Information kommt zweimal vor. Nur unwichtige Dinge werden wiederholt, zum Beispiel: »Warum hast du ihn umgebracht? Weil ich ihn geliebt habe.« Und das war’s. Aber vielleicht solltest du mich etwas über Crossover fragen?
Crossover?
Heutzutage arbeiten ja viele Künstler in unterschiedlichen Disziplinen und machen Crossovers. Mich interessiert das nicht so. Ich sehe mich nicht als Künstlerin – wenn ich Theater mache, fühle ich mich als Theatermensch. Allerdings bin ich froh, dass es die Idee von Crossover schon gab. Die Leute können mir verzeihen und das, was ich mache, als Crossover betrachten, und nicht als Fake.
Was ist mit den Romanen, hast du neue Bücher geschrieben?
Ja, mein letztes heißt »The Amazing True Story of Moshe Klinberg – A Media Star« und ist gerade bei Onestar Press erschienen, die auch die Edition mit dem Poster machen. Und mein Tagebuch kommt im Mai in Japan heraus.
Du bleibst aber da auch bei der Fiktion, oder?
Ja, ein bisschen Wahrheit gibt es aber auch.
Aber innerhalb der Fiktion und außerhalb von dir selbst.
Es gibt mich nicht. Gebrauche niemals deinen Kopf.
Aus dem Englischen von Thomas Raab

ANDREAS SCHLAEGEL ist Autor und Mitglied des Art Critics Orchestra. Er lebt in Berlin.
KEREN CYTTER, geboren 1977 in Tel Aviv. Lebt in Berlin. Letzte Einzelausstellungen u.a. Moderna Museet, Stockholm; Repulsion, Kunsthaus Baselland; Galerie Christian Nagel, Berlin; Hammer Museum Project Series, Los Angeles; Morality Keren Cytter: Cross.Flowers. Rolex, SCHAU ORT, Zürich (2010); Noga Gallery of Contemporary Art, Tel Aviv; History in the Making (mit D.I.E Now), Tate Modern Turbine Hall, London; Performa 09, New York; CCA Center for Contemporary Art, Kitakyushu, Japan; Domestics, Pilar Corrias Gallery, London (2009). Letzte Ausstellungs- beteiligungen u.a. Gwangju Biennale; Not Necessarily In That Order, Presentation House Gallery, Vancouver; Morality, Witte de With, Rotterdam (2010); Return to Baroque, Museo Madre, Neapel; Venedig Biennale; Nationalgalerie Prize for Young Art, Hamburger Bahnhof, Berlin; The Generational: Younger Than Jesus, New Museum, New York (2009).
Vertreten von galerie christian Nagel, Köln, Berlin; Pilar Corrias, London; Schau Ort, Zürich