Los Super Elegantes


»Wir sind die Töpfer, ihr seid der Lehm«1
»Wenn Sie ganz und gar nichts mehr verstehen, denken Sie an was anderes«2

Milena Muzquiz und Martiniano Lopez-Crozet haben sich 1992 am California College of Arts and Crafts in Oakland kennengelernt. Eines Tages brachte Marti eine Gitarre mit, sie sangen zusammen, hatten ihren ersten Song und ihre erste Anekdote. Etwas später suchte Mark Eitzel, damals gerade noch Frontmann des American Music Club, einen Opening Act für ein Konzert, und beide logen daraufhin los: »Wir haben eine Band.« Eitzel: »Wie heißt sie?« Marti: »Los Super« – und Milena: »Elegantes.« Das war 1995, Lopez-Crozet verdiente sein Geld in einem Restaurant, und einige seiner Arbeitskollegen waren Punkrocker. Sie wurden für den Auftritt angeheuert, in zehn Tagen schrieben die zwei Bandleader acht Songs und studierten einige Covers ein. Milena erfand Tanzschritte, wechselte während des Konzerts zweimal die Kleider, der Punkdrummer haute drauflos, Marti wurde mit Barbies Ken verwechselt, und der Bassspieler wollte ein Mann des Salsa sein. Nichts passte, alles roch nach Desaster, doch nach dem Konzert wollte halb San Francisco Los Super Elegantes buchen.
Milena Muzquiz (*1974) wuchs zwischen dem mexikanischen Tijuana und dem US-amerikanischen San Diego auf: »Im ersten Jahr der High School kam mir ein Buch über degenerierte Kunst in die Hände, und ich beschloss, Künstlerin zu werden.« Martiniano Lopez-Crozet (*1968) lebte in Buenos Aires, wo er Unterwäsche für Männer entwarf: »Ich denke, dass wir beide, Milena mit ihrer Herkunft, ich mit meiner, eine Welt gemeinsam haben: die der sexy TV-Komödien Lateinamerikas.«
In San Francisco lernen sie Michael Clegg und Martin Guttmann kennen, mit denen sie das Kollektiv CCSIS (Creative Community Seriously I Swear) gründen. Im Jahr 2000 ziehen Los Super Elegantes nach Los Angeles. Zahlreiche weitere Geschichten entstehen, wie beispielsweise diese: Im Sommer 2002 findet im Museum of Contemporary Art in Los Angeles die VIP-Eröffnung für die Warhol-Retrospektive statt. Muzquiz und Lopez-Crozet geben sich am Diensteingang als Hairdresser aus und nehmen an der Party teil. Nach dem Essen gehen Warhols Freunde ans Mikrofon, Dennis Hopper, Angelica Houston usw. Als der Starkunsthändler Irving Blum seine Rede beendet, übernehmen Muzquiz und Lopez-Crozet das Mikro: »Hi everybody, we’re so happy to be here tonight. It’s been such an extravagant and fabulous evening. Thanks for all your support! Let’s raise our cups to toast Andy! Andy, thanks for everything. We love you.«3
Los Super Elegantes sind eine Fernsehserie, haben die Form einer Fernsehserie, folgen der Produktionslogik einer Fernsehserie. Die einzelnen Kapitel werden gleichzeitig geschrieben, gedreht, modifiziert, ineinander verwoben, den Publikumsreaktionen und neuesten Entwicklungen angepasst und auf verschiedenen Bühnen gespielt. Los Super Elegantes geben als Popgruppe Konzerte in Clubs und bei Open Airs, sie sind Teil der Kunstwelt, machen Kunst, Ausstellungen, Performances oder errichten 2004 bei der Frieze den »Slow Dance Club«. Während der Dauer der Messe war man eingeladen, zu melodischer Musik, wie sie Engländern gefällt, zu tanzen. Den Videoclip zum Lied »Sitten«4 dreht 2005 der mexikanische Künstler Miguel Calderón. Der Song, 2002 für das Album »Channelizing Paradise« aufgenommen, schafft es in Mexiko in die Hitparade und wird im Supermarkt gespielt. BMG und Chrysalis wollen Verträge mit der neuen sexy Latinoband, wenden sich jedoch ab, als sie die ersten Demosongs hören.
In Los Angeles bewegen sich LSE in der Kunstszene, die ihrer Arbeit am meisten Verständnis entgegenbringt, insbesondere ihren eigenartigen Performances5. Die Vorstellungen dieser theaterähnlichen Stücke entwickeln sich entlang von Peinlichkeit, Desaster und Dilettantismus. Schauspieler schlingern durch ein Szenario, Worte werden eingeworfen, aufgenommen oder liegengelassen, Personen streifen durch den Raum und spielen sich selbst, wobei es den Profis und Hollywoodschauspielern wie Frances McDormand (»Fargo«), Alessandro Nivola (»Jurassic Park III«, »Laurel Canyon«) und Emily Mortimer (»Match Point«) nicht anders ergeht. Die Stücke pferchen auf kleinstem Raum aktuelle Erwartungen, Wünsche und Erniedrigungen zusammen, Hoffnungen vom Leben als Lifestyle, Ikone und Guru. Masochistische Bewunderung des Künstlers trifft auf nostalgische Vintage-Haute-Couture trifft auf Sehnsucht nach Gegenkultur trifft auf Spiritualität trifft auf Snobismus, Erotik und Sadismus des coolen Leaders trifft auf Kunstmarkt. Das Ganze – und das ist der große Reiz – findet jenseits jener Professionalität statt, mit der wir seit ein paar Jahren unablässig belästigt werden. Fassbinder in Kalifornien. Viele empfinden es als empörend, andere, wie Stephen Prina und Mike Kelley, erkennen darin eine Bedeutung.
Stephen Prina: »Ein paar Tage später sah ich Los Super Elegantes im Vaginal Davis’ Club, und es war klar, dass sie sich für keine Form von Professionalismus interessierten. Sie traten playback auf und bewegten ihre Lippen zur Musik … Sie testen die Grenzen der Performance, etwas, was mich interessiert.«
Mike Kelley: »Ich frage mich, ob es nur die Miesigkeit ist, die das Ganze zur Kunst macht und es von der Popkultur trennt – und was in diesem Fall die Miesigkeit bedeutet. Ist es eine Art von Populismus? Ein Hinweis darauf, dass jeder und jede zu Hause Popkultur herstellen kann?«6 Sha lalalala. 









DANIEL BAUMANN ist Kurator, Kritiker und Konservator der Adolf-Wölfli-Stiftung, Kunstmuseum Bern.