
Im Augenblick des Schreckens
JORDAN WOLFSONs Roboter bedeutet für viele Besucher ein Erstkontakt – mit dem technologisch höchstentwickelten und auch unheimlichsten Automat, den sie jemals gesehen haben. Aber lohnt die Erfahrung im Galerieraum? Ein Roboter ist doch immer nur so böse wie die Welt, in die er gestellt wird. Von TIMO FELDHAUS
In einem kleinen Raum steht das hypersexualisierte, kaum bekleidete, aber stark mit schwarzem Schmutz besprenkelte animatronische Werk, am Bauch ist es durch einen glänzenden Pfahl an einem großen Spiegel befestigt. Der weibliche Roboter »(Female Figure) 2014« tanzt, lasziv, zum Teil einfach nur lazy, wie in Gedanken zu Lady Gagas »Applause«, Paul Simons »Graceland« und einer narkotischen Version von Robin Thickes »Blurred Lines«. Dass man die Installation in der Galerie Zwirner nur im Zuge einer Voranmeldung und dann nur in einer Kleingruppe von zwei bis drei Besuchern betreten darf, gibt ihr einen feierlichen Rahmen. Extra eingewiesen und einen engen dunklen Gang durchschritten, fühlt der Besucher sogleich Beunruhigung. Die sinistre Spannung entwickelt sich dabei weniger aus der verblüffenden Grazie ihrer Fingerbewegungen – es sind die schwarzen bösen Augen, die aus einer grünen, venezianischen Theatermaske funkeln. Der 1980 geborene New Yorker Künstler Jordan Wolfson ließ den Roboter für eine halbe Million US-Dollar von einem Special Effect Studio in L.A. konstruieren, und der programmierte Ablauf lässt Raum für Variationen, etwa wenn »(Female Figure) 2014« per Sensor erkennt, dass Menschen den Raum betreten oder verlassen und dies still beobachtet. Kommt man ihm nahe, schaut einem der Roboter tief in die Augen, und es entsteht ein ungeheuerlicher Moment der Verunsicherung: Der Besucher erfährt sich selbst im Blick des Automaten als Objekt.
Die Figur, kunstvoll aus teurem Weltraumplastik gefertigt, weiß das Gewicht, das Wolfson ihr aufbürdet, zu balancieren: Cyborg-Theorie, Anthropomorphismus und Uncanny Valley, die Objektwerdung der Frau im männlichen Blick, Masken-, Spiegel- und Doppelgängermotiv und natürlich die heute ewig immanente Kunst-Technologie-Verschmelzung – alles schwingt lapidar mit. Mancher Kritiker findet so Wege in die Kunstgeschichte, denkt etwa an Degas’ »Kleine vierzehnjährige Tänzerin«, an die Puppen von Hans Bellmer oder manche bedrohliche Figur aus dem Universum Mike Kelleys. Doch was an Wolfsons Arbeit wirklich beeindruckt: Das ist alles fantastisch egal. Erfährt man den Automat am eigenen Leib, verschwinden die handelsüblichen Referenzen unter dem Eindruck dumpfer Emotionen. Ein doch allzu selten sich einstellender Zustand in einer Galerie für zeitgenössische Kunst: Wirkliche Erregung, körperliche und geistige Aufregung. Man hat schlicht und einfach urmenschliche Angst angesichts des menschenähnlichen Roboters. »Close your eyes«, sagt er zwischendurch halbverführerisch, doch das geht nicht, denn man weiß mit Sicherheit, dass das animatronische Maschinenwesen sich dann losmacht und einen tötet.

Jordan Wolfson, (Female figure) 2014, 2014
Mixed media
Courtesy the artist and David Zwirner, New York/London
Photo: John Smith
Lohnt sich aber vielleicht doch ein zweiter Blick auf die Referenzen und den von Wolfson konstruierten Outlook des Roboters? Als künstlerischen Kniff hat er seinen Automaten in einen Raum im Raum gestellt. Er steht zwar in einer New Yorker Galerie, doch seinen Geburtsort verlässt der Roboter dabei niemals: Hollywood. Indem er etwa neben der Erinnerung an Holli Would aus dem Film »Cool World« (1992) oder an eine vercampte Marilyn Monroe stets auch die Bedingungen seiner Herstellung – Arbeitsteilung, außergewöhnlich hohes Budget – mit aufruft. Wie heißt es in »Applause« von Gaga: »Pop culture was in art, now art is in pop culture, art and me.« Diese Vermischung wird hier auf bisher kaum gesehene Art und für sehr teures Geld produziert, doch gleichzeitig auch auf den billigsten Effekt reduziert: Horror. Die Figur, an sich misogyn, funktioniert gleichzeitig als Karikatur der fetischisierten Pop-Protagonistin, die nur durch den Spiegel ihrer selbst auf die Welt blickt und durch den Pfahl einen klar abgegrenzten Vertikalbereich ausschließlich hoch- und runterfahren kann, gefangen im eigenen Performance-Schema. Aber auch als menschenähnlicher Roboter, dem jedoch wiederum die Schrauben aus den Gelenken schauen. Nichts wird ganz zu Ende, alles aber angedacht. »My mother is dead. My father is dead. I’m gay. I’d like to be a poet. This is my house«, verkündet »(Female figure) 2014« zu Beginn und am Ende der siebenminütig sich wiederholenden Performance. Es spricht sein Schöpfer Wolfson, der seine klischeehaften Künstler-Wünsche und Realitäten in der kalten Stakkato-Egalness eines Speed-Süchtigen aus dem Automaten herausbrabbelt. Alles ist da, weil alles auch möglich ist, und alles ist auch komplett wurscht, weil nichts neu ist.
Die Figur wirkt in diesem Licht auf fast nervige Art auch metaphorisch verschmutzt mit den alten Mythen und bekannten Theorien aus Kunst und Pop. All die Verkleidungen, die Wolfson ihr überstreift, wirken merkwürdig müde. Die Masken, ihre körperliche Groteske, die überproduzierte Pop-Musik, auch die verspiegelte Karikatur. Ästhetisch bedient er sich letztlich wohlwissend immer aus dem Arsenal des Bekannten und befeuert die klassische Geschichte des »sweet dream and beautiful nightmare« (Lyrics der Sängerin Beyoncé, die im Video im nächsten Raum Verwendung finden), die von Mary Shelleys Frankenstein und E.T.A. Hoffmanns Olimpia schon gesetzt wurde.
TIMO FELDHAUS ist Autor und Spike-Redakteur. Er lebt in Berlin.