JK

Portrait Margaret Salmon

No. 27 / Frühling 2011

Still aus »Everything That Rises Must Converge«, 2010

Bilder aus dem Leben 


In MARGARET SALMONs Filmen offenbaren sich die Charaktere über Andeutungen, sie tauchen nach und nach auf, über kleinste Gesten. Ein schneller Blick in die Kamera, das Wischen über eine feuchte Augenbraue, das sanfte Wiegen eines Gewehrkolbens: Es sind langsame Filme, weniger von Brüchen und Wendungen gekennzeichnet als von Salmons intimer Nähe zu ihren Figuren. Von ISLA LEAVER-YAP


Häufig arbeitet die Filmemacherin mit biografischen Bezügen – Freunde, Familie oder Menschen aus ihren beiden Heimatstädten, einem New Yorker Vorort und Whitstable in England. Intimität ist eine konstante Ebene ihrer Filme. Sie zeigen »die emotionale Verbindung zwischen Menschen«, die, wie Salmon sagt, »durch Film beschrieben und verändert werden kann«. Die 1975 in New York geborene Künstlerin filmt meistens alleine, ohne künstliche Beleuchtung, ohne Kamera- oder Tonleute, weshalb man ihre Filme bereits des Öfteren in die Nähe des Dokumentarfilms und des cinéma véritégebracht hat. Doch wenn das Dokumentarische, wie der »Cahiers du cinéma«-Filmkritiker Jean-Louis Comolli es beschreibt,einen schöpferischen Angriff auf das Ensemble jener Erzählformen darstellt, die für das Filmische ungeeignet sind, dannfinden sich Salmons Form und ihre dazugehörigen Erzählweisen an den Rändern des dokumentarischen und filmischen Bildes. Suchen doch ihre Arbeiten nach einem Weg, dem Alltäglichen die lyrische Natur der Routine zurückzugeben. Innerhalb dieser Routinen lässt sie die Kamera seltenere, zufällige Augenblicke einfangen, die in den Unterbrechungen vongewohnten Handlungen stattfinden: die kleinen Risse, in denen sich entgegen dem Archetypischen eine andere Psychologie zeigt und die Masken der handelnden Figuren fallen.

Einer von Salmons frühen Filmen, »PS« (2002), ist ein gutes Beispiel für den besonderen Ansatz der Künstlerin zwischen Dokumentation und Film. Das schmerzhaft langsame Auflösen einer Ehe in »PS« findet vor dem Hintergrund idyllischer Bilder einer sonnengebleichten Vorstadtwelt statt. Salmons Blick folgt dem alternden Hauptdarsteller, der schwerfällig seinen täglichen Gewohnheiten nachgeht. Seine Handlungen werden von der getrennt aufgenommenen Tonspur des verbitterten Ehestreits eines älteren Paares begleitet, in der die Stimme des Mannes implizit mit der Stimme des Mannes im Video verbunden wird. Die Stimmen werfen einander teilnahmslos vor: »Du warst nicht ehrlich. Du warst nicht ehrlich. Du warst nicht ehrlich.«

»PS« präsentiert das klassische Bild eines idyllischen Amerika, vielleicht ein wenig an Walker Evans »idealisierende«Porträts angelehnt. Doch im Gegensatz zu Evans’ Streben, den einfachen Menschen zu verklären, indem er »die Kamera in die richtige Richtung der Menschen blicken« (Evans) lässt, untergräbt und verkompliziert Salmons Film die nostalgische Träumerei durch die kontrastierenden Bild- und Tonspuren. Der Film verweigert das Erzählen einer Geschichte und scheint weder Anfang noch Ende zu haben: Der Mann jätet weiter Unkraut in seinem Garten, das endlose Streitgespräch nimmt seinen Lauf und kreist weiter bis ins Unendliche.

Man spürt, wie wesentlich Salmons eigene Rolle in diesen auch technisch anspruchsvollen Porträts ist. So wie die Künstler in die dünne Oberfläche der Archetypen hinterfragt, die soziale Funktionen in der Gesellschaft einnehmen – etwa Rezeptionisten, Mütter oder Soldaten –, werden auch ihre eigenen Motive freigelegt. »Eine Filmemacherin zu sein, die Kamera zu bedienen und in der Folge auf die Erfahrungen meiner Figuren während des Drehs zu reagieren bringt Details meiner eigenen Psyche zum Vorschein«, so Salmon. Doch diese Enthüllung offenbart vor allem die Suche der Künstlerin nach gemeinsamen Zügen der von ihr porträtierten Charaktere – Charaktere, die weniger als Individuen auftreten, sondern vielmehr als »Ensemble«.

»Gun Trilogy« (2008), zum Beispiel, besteht aus drei Porträts, die von einem immer wieder auftauchenden Audiokommentar begleitet werden. Es werden drei Männer dargestellt, die irgendwann in ihrem Leben eine Waffe benützt haben: ein amerikanischer Kriegsveteran, ein Jäger im Ruhestand und ein Polizist. Die collagierten Stimmen lassen sich nicht klar denjeweiligen Figuren zuordnen, doch vereinzelte Schüsse und Schwarzblenden dienen als audiovisuelle Satzzeichen des Triptychons. »Gun Trilogy« wurde ursprünglich neben »Fireman« (2008) in der gleichnamigen Ausstellung gezeigt. Zusammen verstärken die beiden Filme die jeweilige Intention, bürgerliche Pflichten und deren aggressive Verstrickung in das Privatleben zum Ausdruck zu bringen, während zugleich die Ränder des Lebens jenseits der bürgerlichen Pflichtenbeschrieben werden. Die Kamera versucht, nicht nur zwischen gesellschaftlichen Figuren eine Verbindung herzustellen,sondern auch zwischen Individuen, deren Leben Salmon in einen Dialog bringt und folglich in einen Dialog mit dem Betrachter.

Salmon spricht immer wieder über die verändernde Kraft des Kameraauges und behauptet, dass sie ihre Figuren schon beim einfachen Betrachten durch die Linse der Kamera anders sehe. »Sie hören auf, sie selbst zu sein, und verwandeln sich in etwas, das ich sehe. Eine Kombination verschiedener Materialien: kleine Details, Licht, Fleisch, Bewegung und Ausdruck.« In ihrer jüngsten Arbeit, »Everything that rises must converge« (2010), macht die Künstlerin die Materialität ihrer Figuren inderen Bildhaftigkeit fest. Der Titel des 2-Kanal-Films wurde von Pierre Teilhard de Chardin übernommen, einem Jesuiten, dessen liberale philosophische Schriften immer wieder von der Kirche zensuriert wurden: »Bleibe dir selbst treu, doch strebe stets nach einem höheren Bewusstsein und höherer Liebe! An deren Spitze wirst du dich mit all jenen wiedervereint finden, die aus allen Richtungen denselben Aufstieg wagten. Denn alles, was emporstrebt, muss in einem Punkt zusammenlaufen.«In »Everything that rises must converge« wird dieses »Zusammenlaufen« in den parallelen Gesten zweier junger Schwestern dargestellt, die Salmons Töchter sind. Eine ist auf 16-mm-Fuji-Film aufgenommen, die andere auf Kodachrome. Ursprünglich wie der bereits erwähnte, hypergesättigte Ektachrome-Film »Fireman« als formale Übung geplant, benutzte Salmon ihren allerletzten Kodachrome-Film (er wird heute nicht mehr hergestellt), nicht nur um unterschiedliche Filmmaterialien zu testen, sondern ihre Untersuchung auch auf das »menschliche Material« auszudehnen, wie sie es bezeichnet. Die Schwestern sind auf benachbarten Monitoren zu sehen, wie sie die gleichen Handlungen an denselben Orten ausführen: sich auf einem Karussell drehen, auf einem Wellenbrecher hocken, in einem Schaukelstuhl sitzen – Kinderalltag. An einer einzigen Stelle wechselt das Bild die Monitore.


»In einer verrückten Spielplatzversion des ›Ballet Mécanique‹ laufen zwei Mädchen buchstäblich in einem Punkt zusammen und tauschen Monitore«, sagt die Künstlerin. »Sie steigen gemeinsam in ein erleuchtetes Erwachsensein auf.« »Everything that rises must converge« ist gleichsam eine Elegie auf Salmons Form und ihre Inhalte. Der körnige 16-mm-Film erzählt nicht nur von der Überalterung des Filmmaterials, sondern ist zugleich stummer Zeuge des unaufhaltsamen Voranschreitens der Zeit (in diesem Fall der süßen Kindheit). Dabei verwandelt sich der Film von dokumentierter Tatsache in ein persönliches Erinnerungsstück der Künstlerin. Ihr binokularer Blick in die Vergangenheit beinhaltet auch jenen in eine noch ungekannte, gemeinsame Zukunft.

Während Salmons neuere Filme einen etwas wärmeren Ton anschlagen, ist auch eine Veränderung in ihrer Art zu beobachten spürbar: Aus einer an Raymond Carver erinnernden Welt kleiner Dramen (wie etwa in »Ramapo Central« und »Peggy«, beide 2003) ist eine surreale Stimmung geworden, wie sie typisch für Donald Barthelmes Kurzgeschichten ist. Bei »Man inTruck« (2010) etwa verbirgt der bescheiden klingende Titel zunächst die absurde Geschichte. Der Film ist die Rekonstruktion oder Nacherzählung einer offenbar wahren Geschichte, die Salmon einmal erzählt wurde, über einen übergewichtigen Mann, der aus seinem Truck geschnitten werden musste, nachdem er über eine Woche hinter dem Lenkrad eingeklemmt war. Vorwiegend aus der Sicht des Beifahrersitzes aufgenommen, beobachtet die Kamera den Mann beim Geldabheben, beim Bestellen von Essen in einem Drive-In-Fastfood-Restaurant und beim Auf-und-Abfahren der Highways im Staat New York. »Man in Truck« ist Salmons erster Schritt in Richtung »Ethno-Fiction«, wie sie es selbst bezeichnet. Befreit von der Strenge ihrer ursprünglichen Arbeitsweise und mit dem Willen, die Position des filmischen Zeugen in einen aktiven Provokateur zu verwandeln.

Bilder aus dem Leben zu zeigen legt eine bestimmte dreiecksförmige Intimität nahe, einen pas de deux zwischen Figur und Künstler und einem implizierten Dritten: dem Publikum. Aber das Bild ist immer, zumindest anfangs, eine persönliche Begegnung. Nichts wird geteilt. Die unmittelbare Reaktion ist nur in den Augen der Betrachter sichtbar. Salmon kehrt die Isolation des Bildes, dessen Zeuge wir sind, nach außen und stellt ihre Filme in ein größeres Ganzes. Ihr Blick ist zugegebenermaßen nicht total, aber gerade deshalb persönlich. Er versucht weder eine Wahrheit zu finden, noch ein Urteil zufällen. »Ich glaube daran, was der Filmemacher Albert Maysles einmal als die ›Temperatur‹ eines Films oder einer Performance bezeichnet hat«, sagt Salmon. »Im Grunde stellt er fest, dass der Kameramann (in diesem Fall ich selbst) seinen Figuren eine Wärme entgegenbringen kann, die in das bewegte Bild übersetzt und schließlich Intimität erzeugen kann.«


 
 

ISLA LEAVER-YAP ist Autorin und Kuratorin und lebt in New York.

MARGARET SALMON, geboren 1975 in New York. Lebt in New York und London. Letzte Einzelausstellungen u. a. Afternoons have to do with the World, Office Baroque, Antwerpen (2010/11); Projects in Art & Theory, Köln; The Moon Is Down, STORE, London; Art Statements, Art Basel (2008); Witte de With, Rotterdam; Whitechapel Art Gallery, London (2007). Letzte Ausstellungsbeteiligungen u. a. Contemporary Art Museum St . Louis (2010); Hong Kong Museum of Art(2009); Rooms Look Back, Rosa Barba, Ursula Mayer, Margaret Salmon, Kunsthalle Basel (2008); Venedig-Biennale (2007).


Vertreten von Office Baroque, Antwerpen

Stills aus »The enemies of the rose«, 2010