Kim Gordon ist Leadsängerin und Bassistin der legendären Alternative-Rock-Band Sonic Youth. Die Band kooperiert immer wieder mit Künstlern. Man findet Arbeiten von Richard Prince und Gerhard Richter auf Covers, Harmony Korine, Tony Oursler, Richard Kern und Spike Jonze sind mit Videos auf der DVD „Corporate Ghost“ (2004) versammelt. Kim Gordon hatte in den 1970er Jahren in Los Angeles Kunst studiert, ging ein Jahrzehnt später nach New York, wo sie für „Artforum“ schrieb und Lee Ranaldo und Thurston Moore, ihren späteren Mann, kennen lernte. Doch gründete sie mit den beiden nicht nur Sonic Youth, sie ist neben vielen anderen Projekten auch Mitbegründerin der Rock-Band Free Kitten mit Julie Cafritz von Pussy Galore und der Modelinie „X-Girl“ mit Daisy van Furth. Ihre Arbeiten werden in zahlreichen Ausstellungen in den USA und Europa gezeigt. Cedar Lewisohn hat mit ihr bei der Eröffnung der Ausstellung „Her Noise“ in der South London Gallery gesprochen. Zusammen mit Jutta Koether installierte sie dort ein großes Karaoke-„Zelt“, in dem das Publikum den Begleittrack für Kims neu aufgenommene Vocals spielen konnte. Die Karaoke-Idee wurde quasi auf den Kopf gestellt.
Cedar Lewisohn: Politik, Kunst, Musik. Ich weiß nicht, wie die Frage geht, vielleicht: Wie verbindest du die drei?
Kim Gordon: Hm ... Politik, Kunst, Musik. Na ja, das passt jedenfalls. (Lacht.) Also, in Amerika ist es schwer, überhaupt richtig politisch zu sein. Es ist so konsumorientiert und bequemlichkeitsversessen. Die einzige Möglichkeit, in Amerika politisch zu sein, ist also, eine Art von Freude am unmittelbaren Ausdruck anzubieten, die sich von der Mall-Kultur, der Shopping-Kultur abwendet. Außer man ist Fugazi oder so wer.
Wo ist es leichter, politisch zu sein, in der Kunst oder in der Musik?
Ich glaube, es ist überall gleich schwer. Die Strategien, eine Alternative anzubieten, sind, glaube ich, sehr ähnlich. Ich will sagen, die Kunst ist auch nicht frei …
Ich hab gelesen, dass du gewisse Werbespots magst. Hast du jemals Musik für Werbespots gemacht, und was wäre da deine Idealvorstellung?
Seltsam, dass du das fragst. Nein, hab ich nicht. Na ja, eigentlich haben wir einmal einen Song für Picabo [Street], die Abfahrtsläuferin, gemacht, aber dann brach sie sich das Bein, und er wurde nicht verwendet. Also ja, ich war eine Zeit lang an Autowerbung interessiert. Die Werbetexte, aber schon auch die Musik … Jetzt gerade, bevor ich rüberkam, um diese Performance hier zu machen, gab es da diesen Volvo-Spot mit einem Bob-Dylan-Song, „Blowing in the Wind“, und ich muss sagen, das hat mich einfach umgehauen.
Falscher Kontext, was?
Ja, weißt du, es war einfach ... na ja, egal …
Hast du ein Lieblingsmusikvideo? Eins außer den eigenen, meine ich.
KG Ich war ein Riesenfan dieses frühen LL-Cool-Jay-Videos „Going back to Cali“. Das war echt inspirierend. Coole Sache!
Ja, das ist mir auf „Corporate Ghost“ aufgefallen ... kannte das allerdings nicht, die Geschichte mit dem LL-Cool-Jay-Video.
Und dann gab es noch dieses Rob-Base-Video, nur mit diesem Mädchen; es war Super-Low-Fi, und nur dieses Mädchen, eindringlich tanzend (lacht), als würde es in die Kamera tanzen, irgendwie finster und durchtrieben … (lacht).
Wenn du dir für deine Wohnung irgendein Kunstwerk aussuchen könntest, was würdest du nehmen? Das ist eine Dinner-Party-Frage.
Wow! Irgendein Kunstwerk? Vielleicht einen Jack <Pierson>. Na gut, es gibt noch andere …
Aber das fällt dir als Erstes ein, das ist genau, was ich haben will. Du machst Soundkunst, aber könntest du mit einem Soundkunstwerk im Haus leben?
Ich hab das Gefühl, mein Haus ist eine ganze Soundkunstsammlung. Thurston [Moore] spielt die ganze Zeit. Er muss einfach spielen, in seinem Büro. Er hat einen dieser alten Kassettenrekorder von der Gehörlosenschule nebenan gekriegt, da spielt er so Noise-Kassetten drauf. Und dann haben wir noch diesen Hund namens Merzval, der, äh … bellt.
Er ist also eine Art lebende Skulptur? Hattest du je ein Kunsterlebnis, das dein Leben verändert hat? (Lacht.) Entschuldige die Blödheit dieser Fragen.
Keine Ahnung, mir fällt eigentlich nichts ein … Na ja, ich war neulich auf dieser DADA-Ausstellung in Paris, die fand ich ziemlich gut. Aber lebensverändernd, ich weiß nicht.
Hattest du je ein Musikerlebnis, das dein Leben verändert hat?
Äh nun … als ich DNA in New York spielen gehört hab, das war schon ziemlich stark. Und The Static, Glenn Brancas frühe erste Band mit Barbara Ess und Christine Hahn.
Cool. Hast du einen iPod, und was ist drauf?
Hab ich. Mit einer Menge alter Musik drauf, Neil Young und Buffalo Springfield, M.I.A., alles Mögliche.
Wie kam es zum Cover von „Sonic Nurse“, und was reizte dich/die Band an diesem Bild?
Ich glaube, Richard [Prince] zeigte diese Gemälde vor ein paar Jahren in einer Ausstellung, das war etwa ein Jahr davor, und sie gefielen uns. Thurston und ich haben wirklich immer dieselbe Wellenlänge. Er schlug es vor.
Was mochtest du an den Bildern?
Zunächst einmal mochte ich die Art, wie sie gemalt sind. Weißt du, ich mochte immer schon diese billigen Schundromane. Ich hielt sie für unterschwellig frauenfeindlich. (Lacht.) Sie haben etwas, das nicht unbedingt akzeptabel ist.
Man findet sie quasi trotzdem reizvoll.
Ja genau, man kann sich nicht helfen. Und weißt du was, als ich Richard anrief, sagte er: „Oh, ich hab ‚Murray Street‘ gehört, als ich diese Bilder malte, bla bla bla …“
Und dieselbe Frage zu „Daydream Nation“, wie kam es dazu?
Ganz ähnlich. Also, ich kannte Gerhard Richter, ich war mit Isa Genzken befreundet, die eine Zeit lang mit ihm verheiratet war ..… und ich kannte Dan Graham, und wir fragten Isa ..… Ich liebte diese kleinen Kerzenbilder (wo wir schon davon reden, was ich mir gerne in die Wohnung hängen würde), und, ja, sie sind wirklich ziemlich klein, deshalb dachten wir, dass sie sich gut für ein Plattencover eignen könnten, wir dachten ja immer noch an Alben. Da war also dieses intime Format, wie ein Ready-made.
Und das Foto drinnen ist dann so ganz anders.
Und dass das Gemälde so konservativ wirkt, das war irgendwie ganz gut.
Wie würdest du deine Arbeit in der aktuellen Ausstellung beschreiben?
Nun … sie ist irgendwie Dada, obwohl das eher ein nachträglicher Gedanke ist. Sie ist irgendwie architektonisch. Als ich den Raum zum ersten Mal sah, kam er mir so riesig vor, und die Idee des Zeltes hatte in gewisser Weise einfach mit dem Raum zu tun. Jutta [Koether] und ich haben ein gemeinsames Projekt bei Kenny Schachters conTEMPorary in New York gemacht. Der Raum war von Vito Acconci mit all diesen schrecklichen Metallgittern gestaltet worden, Kunst sah darauf wirklich beschissen aus. Er wirkte aber wie ein 1980er-Jahre-Club, und wir nannten ihn „The Club in the Shadow“. Wir hängten Mylar-Folien mit minimalistischen, dekorativen Schaumquadraten auf, und wir hatten eine Videolounge. Und er befand sie gleich beim Westside Highway, am Ende einer schmalen Gasse direkt neben dem Richard Meier Tower - diese beiden Türme, an denen immer noch gebaut wurde und in die sich Leute wie Calvin Klein und Martha Stewart eingekauft hatten. Uns gefiel die Vorstellung, dass das eine Art Nachbarschaftskunstverein für die Leute sein könnte, die da wohnen ... (Lacht.)
Sie alle da am Samstagnachmittag zum Zeichnen hinzubringen.
Zweimal in der Woche veranstalteten wir etwas, die Leute hingen auf der Gasse herum, es war echt super. Ich wollte sie [Jutta Koether] also mit dabeihaben, als ich diese Idee mit dem Karaoke hatte. Um das Ding ein wenig weiterzutreiben.
Und was beeinflusste die Arbeit sonst noch?
Du meinst das Gemälde, die Art, wie es aussieht? Na ja, es ist irgendwie die Vorstellung, die die Leute davon haben, wie Rock aussehen sollte. Es hat diesen Pseudo-Gothic-Touch.
CL Siehst du zukünftig mehr Verbindungen zwischen Soundkunst und Musik?
KG Klar. Warum nicht? Obwohl, ich sehe mich nicht wirklich als Soundkünstlerin. Eher als bildende, als konzeptuelle Künstlerin.
Findest du es schwer, deine beiden Personae zu trennen?
Also früher wollte ich nichts mit Ausstellungen zu tun haben, zu denen sie Musiker einluden und das alles. Und meine früheren Arbeiten hielten sich ziemlich fern von so Musiksachen, aber dann wurde mir irgendwann klar, dass das eigentlich dumm ist. Nach einer Weile spielt das alles keine Rolle mehr. Ich bin die, die ich bin, und ich kann tun, was ich will. Aber ich hatte sicher immer dieses Ding laufen, dass ich nicht als Dilettantin gesehen werden wollte.
Machst du einen Unterschied zwischen Sachen, die du auf Platte hörst, und Sachen, die du in der Galerie hörst?
Klar. Allerdings gibt es Leute wie etwa Elisa [Ambrogio] von den Magik Markers, die meiner Meinung nach in beide Kategorien fallen. Sie ist fast eine Performancekünstlerin.
Aus dem Englischen von Wilfried Prantner
CEDAR LEWISOHN ist Künstler und Autor. Zur Zeit arbeitet er als „Curatorial Fellow“ in der Tate Modern in London.
