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Architecture

No. 25 / Herbst 2010

Ansichten Apartmenthaus von baukuh in Tirana, Fotos: Giovanna Silva

baukuh in Tirana


Michele D'Aurizio über ein turbo-urbanistisches Apartmenthaus in Tirana von den Genueser Architekten baukuh

Das Werk des italienischen Architekten und Kupferstechers Giambattista Piranesi steht nach Herbert Muschamp für »den Moment in der Geschichte der Architektur, an dem sich die Macht von der Autorität zu unterscheiden beginnt«. »Für die Fantasie des Architekten gibt es auf dem Papier keine Grenzen«, so der Architekturhistoriker. Piranesi brachte die Möglichkeit subjektivenAusdrucks (und seine übersteigertsten Erscheinungsformen) in ein Medium, das auf fast mythischeWeise der Objektivität der Konstruktion verpflichtet ist. Es ist eine der chauvinistischsten Kontroversen, die Willkür der Komposition – als Vorrecht der Kunst – dem Unpersönlichen der »Gestalt« als Gegenstand der Designdisziplinen entgegenzusetzen. Heute hat diese »Arbeitsteilung« einen romantischen Beigeschmack, auch wenn dieser durch der Entstehung neuer autoritärer Dispositive und neuer Formen von Macht schal geworden ist.

Das von dem Genueser Architekturbüro baukuh kürzlich fertiggestellte Wohnhaus in Tiranas Xezhmy Delli Straße ist symptomatisch für das schwer zu durchdringende, von verschiedenen autarken Kräften durchkreuzte Gebiet, auf dem die zeitgenössische Architektur heute arbeitet, was zu unkontrollierbaren und unerwarteten Entwicklungen eines Projekts führt. baukuh begannen an dem Projekt 2004 zu arbeiten, nachdem das Rotterdamer Berlage Institut vom Bürgermeisters Tiranas, Edi Rama, persönlich in die Stadtplanung miteinbezogen wurde. Der Auftrag an baukuh konkretisierte sich im Rahmen internationaler Wettbewerbe, deren Vorsitz unter anderen der Direktor des Instituts Vedran Mimica und Elia Zenghelis, Mitglied des Forschungskomitees, innehatten.Derzeit arbeiten baukuh an einem zweiten Gebäudekomplex in der Myslym Shizi Straße, entwickeln einen Masterplan für das Areal des ehemaligen Militärflughafens und eine Neugestaltung für den Skanderbergh Platz. Das Haus in der Xezhmy Delli Straße wurde aufgrund eines Wechsels des Bauherren ohne volle Kontrolle der Architekten fertiggestellt. Während der ursprüngliche Entwurf eine Betonoberfläche und mit bunten Fliesen ausgekleidete Balkon- und Fensteröffnungen vorsah, ummanteln jetzt ziegelfarbene Fliesen das ganze Gebäude und geben ihm eine naivere, lokale Sprache als die von den Architekten intendierte Anspielung auf den manieristischen Brutalismus.

»baukuh suchten eine wilde Schönheit, die zu diesem spezifischen Kontext passt«, schrieb Mimica vor kurzem über das Gebäude. Das Projekt ist eine Synthese von Ramas Stadtentwicklungsplan, der die Synergien zwischen internationalen Architekten und lokalen Bauherren nutzt – mit dem Ziel, eine authentische Kultur urbaner Architektur zu etablieren – und der charakteristischen Improvisation und Adaptierung, die als Folge einer regen Bautätigkeit allen neuen urbanen Formen des Balkan gemeinsam sind. Die Ausstellung »Balkanology«, die im Jahr 2008 im Schweizerischen Architekturmuseum in Basel stattfand, subsummierte diese weit verbreitete Ästhetik, die in allen jüngeren architektonischurbanistischen Eingriffen in den Hauptstädten des Balkan sichtbar wird, unter dem Namen »Turbo-Architektur«, in Anlehnung an das bekannte musikalische Phänomen des »Turbo-Folk«. Die Ausstellung untersuchte die tatsächlichen Möglichkeiten von Prozessen informeller Stadtentwicklung, neue urbane Typologien und Formen zu erzeugen. baukuh entschieden sich in Tirana dafür, ein technisch betrachtet banales, doch erstaunlich geräumiges Wohnhaus zu errichten; ein bizarres, grob strukturiertes Gebäude, das mit Nachdruck zu betonen scheint, dass es das Ergebnis einer »Verkettung kontingenter Umstände« sei. Auf diese Weise verlagern die Architekten die Rolle des architektonischen Entwurfs weg von einem Komplex bedingungsloser Direktiven, hin zu einer urbanen rhetorischen Geste. Paradoxerweise entstand die eigenartige prismatische Form des Gebäudes durch die maximale Ausnutzung von der Bauordnung erlaubten Volumina. Es handelt sich also um eine »abgeleitete « Form der »Verschmelzung« und der »Einschnitte«, die im Panorama der Stadt in einer Piranesi’schen Weise »emporragt«. baukuh griffen in ihrem Entwurf auf einen antikompositorischen und »bürokratischen« Zugang zurück, beinahe so, als sollte die Abstraktheit der Bauvorschriften im heterotopischen Körper der Stadt bekräftigt werden. »Es gibt keinGebäude ohne Regeln, und gute Architektur folgt nicht immer den Regeln«, konstatiert eine der letzten Ausgaben von »Hunch«, des Hausorgans des Berlage Instituts. Die Entkräftung der Unwiderlegbarkeit des architectural brief und die Überwindung des Dogmatismus des Entwurfs in der Architektur, können heute dazu beitragen, neue architektonische Formen zu schaffen.




MICHELE D’AURIZIO ist Redakteur des Magazins Kaleidoscope und kuratiert zusammen mit Eva Fabbris das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm des Kaleidoscope Project Space. Er lebt in Mailand.