MOCA, Los Angeles 21.10.2012–7.1.2013
Whitney Museum, New York 7.2.–28.4.2013

Installationsansicht »Blues for Smoke« The Geffen Contermporary at MOCA. Foto: Brian Forrest
Süsser, süsser Schmerz
Benannt ist die sechs Jahre vorbereitete geniale und überraschende Ausstellung »Blues for Smoke« von Kurator Bennett Simpson nach Jaki Byards gleichnamigem Jazz-Piano-Album aus dem Jahr 1960. Doch ist die Show, die sich in ihrer ersten Version über die gesamte Ausstellungsfläche des MOCA Geffen Contemporary erstreckt, weder eine Ausstellung über den Blues, noch eine über amerikanische Geschichte. Sie ist vielmehr die Beschwörung einer Sensibilität, die Simpson in den Arbeiten so unterschiedlicher Künstler wie dem um die Mitte des letzten Jahrhunderts tätigen Harlemer Fotografen Roy DeCarava, Jutta Koether, Romare Bearden, Charles Gaines, Martin Kippenberger, Henry Taylor, Zoe Leonard oder Liz Larner ausmacht. In Texten zur Ausstellung wird diese Sensibilität mal definiert als »ein Impuls, die schmerzvollen Einzelheiten und Episoden einer brutalen Erfahrung im eigenen gequälten Bewusstsein lebendig zu halten … und diese zu überwinden … indem man einen beinahe tragischen, beinahe komischen Lyrismus aus ihnen herausquetscht« (Ralph Ellison), mal als »Wahrheitsbedingung, die das Leiden beredt werden lässt« (Cornel West); mal als Poesie aus dem »was mir brauchbar erscheint und aus dem ganzen Müll des Lebens gerettet werden kann«, (Amiri Baraka, noch als LeRoi Jones).
»Blues For Smoke« ist meines Erachtens eine der ungewöhnlichsten und tiefst empfundenen Ausstellungen an einem großen Museum seit Langem. Trotz des Impulses, der von Thelma Goldens wegweisender Show »Freestyle« 2001 am Studio Museum in Harlem ausging, mit der sie den Begriff »post-black« prägte, erkennt Simpson ganz richtig das Fortbestehen einer dermaßen eklatanten und offenkundigen Rassensegregation, dass praktisch jede Diskussion von ihr bestimmt ist. Wie er in seinem einführenden Katalogessay »This Air« eloquent auseinandersetzt, weist die Ausstellung auf eine Zeit voraus, in der »die Erfindungsgabe und Experimentierlust afroamerikanischer Kulturtraditionen nicht mehr in die Randzonen der Moderne, die Außenbezirke der Avantgarde, auf die Nebengleise des kritischen Diskurses abgeschoben … sondern als zentral, exemplarisch und erfahrungsprägend gewürdigt werden«.

vorne Zoe Leonard, Blue Suitcases; hinten Beauford Delaney. Foto: Brian Forrest
Die groß angelegte Ausstellung am MOCA bot Gelegenheit, selten gezeigte wichtige Arbeiten wiederzusehen; etwa Renée Greens witzige raumfüllende Installation »Import/Export Funk Office« von 1992/93, bei der sie Diedrich Diederichsen als »einheimischen Informanten« für deutsche Kultur einsetzt; David Hammons’ poetische Monumentalinstallation »Chasing the Blue Train« von 1989, in der eine Miniatureisenbahn zwischen aufgestellten Klavierdeckeln und Kohlebergen herumkurvt; die großartigen Schwarz-Weiß-Fotografien von Roy DeCarava, dessen intime Aufnahmen von Paaren in ihren Wohnungen erbitterte Armut in einem verblüffend sanften Licht zeigen; und Rodney McMillians für die Ausstellung geschaffene Installation »From Asterisks in Dockery«, die mit einem aus blutroten Kunststoffstreifen zusammengestückelten begehbaren Zelt eine Atmosphäre vulgären wie spirituellen Verlangens erzeugt.
»Blues for Smoke« ist (wie alles im Leben) implizit politisch, aber die stärkste Behauptung der Ausstellung ist wohl die, dass die im aktuellen kunstkritischen Diskurs meistgeschätzten ästhetischen Praktiken in der von afroamerikanischen Künstlern vor über einem halben Jahrhundert geschaffenen Musik und Dichtung zu finden sind. Als der Saxofonist Jackie McLean die Verheißung des Free Jazz als »the big room« beschrieb, hatte er da nicht einen kollektiven, intersubjektiven Raum im Sinn? Ähnlich demonstrieren für Simpson auch die Fotos von Mark Morrisroe aus den späten 70er- und 80er-Jahren in New York von einer klassischen Blues-Sensibilität: »dem Wunsch nach Subversion, privatem Vergnügen und Über-die-Runden-Kommen«.
CHRIS KRAUS

Installationsansicht »Blues for Smoke« The Geffen Contermporary at MOCA. Foto: Brian Forrest
»Fotos – Österreichische Fotografien von den
1930ern bis heute«
21er Haus, Wien 30.1.–5.5.2013

Silbergelatine mit Metallsalztonung auf Silberunterlage 48 x 37 cm © Artothek des Bundes
I am a photograph
Fast wie eine Provokation, wie ein nonchalantes Statement gegen jeglichen Anspruch, inhaltliche oder historische Schwerpunkte hervorzuheben, wirkt diese Art der Präsentation von Fotografie anfangs. Gängige Einteilungen nach Genres oder Themen wurden nämlich bewusst über Bord geworfen. Stattdessen ist das Publikum eingeladen, selbst zu entdecken. Man wird auf Stillleben und Porträts aufmerksam, steht dann aber schnell vor konzeptuellen Werken aus den »Case Studies« von Thomas Freiler oder setzt sich mit Michael Schuster auseinander, wo Prozesse der Bildwerdung generell thematisiert werden. Zu einer interessanten Wiederbegegnung mit dem Œuvre von Friederike Petzold kommt es ebenfalls: schwarz-weiß formalisierte Körperpartien an der Grenze zur Abstraktion. Dass Dorit Margreiters in Los Angeles entstandene Arbeit »1014 Angelo View Drive« (2004) aus dem Zusammenhang einer Installation kommt, dürfte allerdings höchstens Insidern bewusst sein.
Hinter diesem Modell der Ausstellungsgestaltung steht die Intention, möglichst unvoreingenommene Annäherungen an das fotografische Bild zu ermöglichen, was soweit reicht, dass sogar die einzelnen Seiten im Katalog durcheinandergewürfelt wurden. Durch ein spezielles Verfahren der Bindung wurde der Bildteil in immer wieder neue Abfolgen gebracht, womit jedes Katalogexemplar den Charakter eines Unikats hat. Dahinter das anything goes der Postmoderne zu vermuten, oder zu meinen, da werde endlich der von vielen als – ach so – lästig empfundene Diskurs weggelassen, würde trotzdem in eine komplett falsche Richtung weisen.
Das Konzept der unprätentiös mit »Fotos« übertitelten Schau wirkt genau durchdacht, ziemlich erfrischend und letztlich sehr plausibel. Auch wenn gewisse Leitmotive wie Dinge als Zeichen, Menschen und die Fotografie als Medium verfolgt wurden, versucht das Projekt seinem Anspruch nach nämlich keine Konstruktion der Geschichte heimischer Fotografie nach Kapiteln und typischen Beispielen, was längst in Retrospektiven der 90er-Jahre – etwa »Fisch & Fleisch« in der Kunsthalle Krems – praktiziert worden ist. Vielmehr standen die Kuratoren Severin Dünser und Axel Köhne vor der Aufgabe, Teile der öffentlichen Sammlungen österreichischer Fotografie transparent zu machen: die gezeigten Arbeiten entstammen der Artothek des Bundes, aus der Fotosammlung des Bundes der Österreichischen Fotogalerie und des Museums der Moderne Salzburg sowie aus dem Belvedere selbst. Angesichts des Umfangs wäre eine inhaltliche Evaluation im Sinne einer Bewertung der Bestände, wie Andrea Fraser sie einst für die Generali Foundation leistete, wohl kaum in Frage gekommen, und der Versuch, gültige Aussagen über Fotografie heute zu formulieren, wäre wahrscheinlich in eine rigide Thesenausstellung gekippt.

ROLAND SCHÖNY

SW-Fotografie auf Barytpapier, 56 x 46 cm © Belvedere, Wien

Im Vordergrund als Gast die Sängerin Christa Ludwig, 1966 Digitalprint auf Barytpapier (2012) © Belvedere, Wien